Versorgungslücken werden größer

Berlin-Institut warnt vor den Folgen demografischer Veränderungen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem flachen Land wird es immer schwerer, grundlegende Standards bei Nahverkehr, Gesundheit oder Bildung aufrechtzuerhalten. Das Berlin-Institut plädiert für alternative Lösungen.

Wer kein Auto hat, der ist in vielen ländlichen Regionen Ostdeutschlands aufgeschmissen. Dorfläden gibt es nicht mehr, der Bus fährt zweimal am Tag und in den Ferien oft gar nicht. Für chronisch Kranke und Alte ist das besonders fatal, finden sich Arzt und Apotheke doch oft erst in der nächsten Kreisstadt. Was in Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder weiten Teilen Thüringens längst Realität ist, kommt nun auch auf Westdeutschland zu. Dies belegt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. In ihrer Untersuchung »Von Hürden und Helden« warnen die Forscher vor »wachsenden Versorgungsproblemen in ländlichen Regionen«. Hauptgrund sei der Bevölkerungsschwund. Zwar habe Deutschland 2013 dank verstärkter Zuwanderung aus den EU-Krisenstaaten ein »Wanderungsplus von 430 000 Menschen« verbuchen können, doch von diesem »demografischen Zwischenhoch« profitieren nicht alle Gebiete. Während Berlin oder Hamburg wachsen, schrumpft die Bevölkerung in den neuen Ländern - um ein Prozent pro Jahr! Institutsdirektor Reiner Klingholz betonte am Mittwoch, dass dies längst auch für westdeutsche Regionen wie Nordhessen oder die Eifel gelte.

Klingholz konstatierte, der Anspruch auf Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wie ihn die Verfassung nahelege, sei »längst zu Hülle verkommen«. Die Alternative zur »unerreichbaren 100-Prozent-Norm« sei für die Bevölkerung »häufig null Prozent Versorgung bei einem bestimmten Angebot: Dann fährt eben gar kein Bus mehr, die Arztpraxis wird dicht gemacht und der Kindergarten geschlossen.«

Das Berlin-Institut empfiehlt mehr Realitätssinn und praktikable Lösungen für eine schrumpfende und alternde Bevölkerung auf dem Land. Die damit einhergehenden Probleme wie ein ausgedünnter Nahverkehr, massenhafte Schulschließungen oder auch die im Unterhalt immer teurer werdende Wasserinfrastruktur rufen nach alternativen Lösungen. Das Berlin-Institut stellt in seiner Studie 37 Projekte aus ganz Deutschland vor, die interessante Ansätze bieten.

Da gibt es ein mobiles Seniorenkino in Mittelfranken oder die Idee eines Apothekenbusses, der Medikamente in abgelegene Dörfer bringt. Denn, so zeigt die Studie, nur zehn Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten finden eine Apotheke in »fußläufiger Entfernung«, müssen also weniger als 15 Minuten gehen. Abhilfe schaffen könnten hier abschließbare Briefkästen, die als »Rezeptsammelstellen« von einem Apothekenbus versorgt würden. Doch wie so oft in Deutschland, bremsen bestehende Gesetze oder Verordnungen den Elan von Pionieren. Hier ist es die Apothekenbetriebsordnung, die besagt, dass solche Briefkästen nicht in Gewerbegebieten oder Arztpraxen stehen dürften. Zudem müsste die Genehmigung alle drei Jahre erneuert werden und die Auslieferung dürfte nur durch pharmazeutisches Fachpersonal erfolgen.

Eine Zahnärztin aus der Uckermark, die ältere Patienten zu Hause besuchen wollte, scheiterte beinahe an der Berufsordnung, die ein »Umherziehen« verbietet. Außerdem konnte sie die Fahrtkosten bei den Krankenkassen nicht geltend machen. Letztendlich fand man einen Kompromiss: Sie darf nun einmal pro Woche Hausbesuche machen, das verbrauchte Benzin kann sie über Vergütungsregeln der Pflegereform abrechnen.

Die Studie plädiert für ein generelles Umdenken. So »könnte manche Schule erhalten bleiben, statt Bussen würden andere Verkehrsmittel die Menschen von A nach B bringen und Gemeinden selbst Arztpraxen betreiben, Alten-WGs und Kindergärten würden entstehen«. Zumal Schuldenbremse und das Auslaufen des Solidarpaktes den finanziellen Spielraum von Ländern und Kommunen weiter einengen werden. Sollten Hessen und Bayern mit ihrer 2013 eingereichten Klage gegen den Länderfinanzausgleich erfolgreich sein, wird es noch enger. Ohnehin wollen Bund und Länder ihrer Finanzbeziehungen neu ordnen. Derzeit funktioniert der Finanzausgleich noch: Im abgelaufenen Jahr gingen so mehr als neun Milliarden Euro an die Nehmerländer, wie das Bundesfinanzministerium am Mittwoch in Berlin bestätigte.

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