Renaissance der Bäuerlichkeit

»Kritischer Agrarbericht 2015« fordert Ressourcenschonung und Abkehr von Rendite

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 2 Min.
Von »familienbetriebener Landwirtschaft« reden viele. Im »Kritischen Agrarbericht 2015« wird dieses Leitbild hinterfragt: Was ist eigentlich bäuerliche Landwirtschaft?

Der Weltagrarrat, ein Gremium aus UN-Organisationen, Staatenvertretern und Nichtregierungsorganisationen, sieht in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft die einzige Möglichkeit, zukünftig die Weltbevölkerung zu ernähren. Deutschland hat den Bericht des Rates aus dem Jahr 2008 bis heute nicht unterzeichnet, eine von der damaligen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) angeregte Debatte verlief im Sande. Anders die Vereinten Nationen, die für 2014 das »Internationale Jahr der bäuerlichen Familienlandwirtschaft« ausgerufen hatten. Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, spricht vor Beginn der Grünen Woche häufig von »unseren Bauernfamilien«.

Ein Agrarbündnis aus Landwirtschafts-, Naturschutz- und Verbraucherverbänden versucht sich in dem am Donnerstag in Berlin vorgestellten »Kritischen Agrarbericht 2015« an einer Neudefinition von »Bäuerlichkeit versus Agrarindustrie«: »Wir müssen darüber diskutieren, was bäuerliche Landwirtschaft heutzutage sein kann«, sagt Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses und Mitautor des Berichts. Angesichts einer Renaissance des Begriffes weit über landwirtschaftliche Kreise hinaus müssten die Bilder einer traditionell geprägten Landwirtschaft überprüft werden. Thomas schreibt im Agrarbericht: »Natürlich betreiben viele Familienbetriebe Landwirtschaft anders als Kapitalgesellschaften. Aber unter der Überschrift ›Familienbetrieb‹ fungieren auch die Hühnerbarone in Vechta-Cloppenburg, der Molkereibesitzer Müller oder die Familie Albrecht mit ihren Ladenketten Aldi.« Bei diesen gehe es jedoch wie beim DBV um Wachstum und Marktausweitung.

Dem setzt Thomas eine bäuerliche Landwirtschaft entgegen, die versucht, »den permanenten Wachstumsdruck zu verringern, der wegen der deregulierten Finanz- und Warenmärkte auf den Höfen liegt«. Bäuerliches Wirtschaften ist demnach ein Wirtschaftsstil, der nicht auf Kapitalrendite setzt und Ressourcen schonend arbeitet, ohne Arbeitskräfte und Produktionsweise permanent zu rationalisieren. Thomas warnt gleichzeitig davor, das Leben auf dem Lande zu romantisieren, wie es zahlreiche Lifestylemagazine momentan täten.

Eindeutig nicht zur bäuerlichen Produktionsweise zählen laut dem Agrarbericht Massentierhaltung, Gentechnik und die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft. Deshalb wird in der 304-seitigen Studie kritisiert, dass die »weitere Ausdehnung des agrarindustriellen Produktionsmodells nach amerikanischem Vorbild« in den Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen zwischen der EU und Nordamerika momentan besprochen werde. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Hubert Weiger, sieht die europäischen Umwelt- und Lebensmittelstandards in Gefahr: »Im Zweifel gelten die Interessen von Großkonzernen mehr als die Interessen von Mensch und Umwelt«, so Weiger. Auch die Umsetzung der EU-Agrarreform in Deutschland müsse überprüft werden. So sehen es auch die Autoren des Berichts: »Anders als einige unserer Nachbarländer nutzt Deutschland diese Möglichkeiten zur Stärkung einer bäuerlichen Landwirtschaft nicht«. Nutznießer seien stattdessen die »großen Wachstumsbetriebe«.

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