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Antifa in der Krise?

Debatte um die politische Neuausrichtung einer Bewegung

  • Lesedauer: 10 Min.

Die Antifa ist in aller Munde. In Zeiten von AfD und Pegida ist eine antifaschistische Stimme auch dringend notwendig. Aber seit der Auflösung bzw. Transformation mehrerer Antifagruppen im vergangenen Jahr steht das Konzept Antifa in der Diskussion. Die linke Bewegung debattiert über die Neuausrichtung bzw. Aktualität antifaschistischer Politik. Die Göttinger Gruppe »Antifaschistische Linke International« (ALI) hat in einem Text die »Notwendigkeit des Antifa-Ansatz« für ihre Politik betont. Für das nd hat ALI ihren Text bearbeitet bzw. gekürzt. Er ist der erste Beitrag einer Debatte, die wir im nd und im nd-Bewegungsblog in den kommenden Wochen führen werden. Weitere Beiträge von verschiedenen Gruppen, Institutionen und Personen sind bereits zugesagt bzw. angefragt.

Hintergrundtexte

Schon im April 2014 veranstaltete die Interventionistische Linke einen Kongress mit dem Titel »Antifa in der Krise?«. Die Vorbereitungsgruppe sah die »Antifa vor neuen Herausforderungen [...] unter den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Zeichen der Krise«. Aktivisten aus elf Ländern suchten in Berlin nach Antworten auf die Fragen, welchen Einfluss die ökonomische Krise auf den Rechtsruck in vielen Staaten Europas hat und ob sich die antifaschistische Bewegung selbst in der Krise befindet. Das nd resümierte: »An den aufgeworfenen Fragen und Themen dranzubleiben, das sollte sich die antifaschistische Bewegung ins Hausaufgabenheft schreiben«.

Mehrere Antifagruppen haben sich 2014 aufgelöst. Die Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] ging in der IL Hannover auf. In der IL (Interventionistische Linke) haben sich mehrere Gruppen zusammengeschlossen. Sie schrieben im Oktober in ihrem Zwischenstandspapier: »Antifa war für viele von uns das zentrale Politikfeld, teils aus der direkten Notwendigkeit der Gegenwehr, teils, weil hier noch ein Resonanzraum für linksradikale Politik bestand. Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), in der auch einige der heutigen IL-Gruppen organisiert waren, setzte bewusst Antifaschismus als Ausgangspunkt linksradikaler Politik, um damit den spezifischen Bedingungen der nationalistischen Vereinheitlichung im Land der Täter_innen des deutschen Faschismus gerecht zu werden.«

Die Gruppe »kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt«, erklärte schon im Juli 2014 – gerade frisch hervorgegangen aus der »autonomen antifa [f]« –, »dass der revolutionäre Antifaschismus seine Bedeutung nicht erst wegen der Krisenproteste oder gar der Schwierigkeit im Umgang mit dem zunehmenden Rechtspopulismus verloren hat, sondern weil eine radikale Kritik des Bestehenden dieses Bestehende (Staat, Ökonomie, Nation, Geschlechterverhältnisse) in seiner Struktur zum Gegenstand haben muss. Beim revolutionären Antifaschismus ging es um eine Zuspitzung des Antifaschismus zur Systemkritik. Dafür ist der Antifaschismus allerdings im bürgerlichen Staat nicht besser geeignet als andere linke Teilbereiche, denn auch wenn Faschismus eine der politischen Formen bürgerlicher Herrschaft sein kann, ist sie doch nicht mit dieser identisch.«

Die Antifaschistische Revolutionäre Aktion (ARAB) schloss sich mit dem Projekt »Neue antikapitalistische Organisation« (Nao) zusammen und betonte, dass schon zu ihrer Gründung 2007 die Klassenfrage und soziale Fragen viel stärkere Bedeutung gewonnen hätten und dass der »Antifaschismus« in ihrem Gruppennamen nie den Stellenwert hatte wie bei anderen Gruppen.

Im September 2014 beendete die »Antifaschistischen Linken Berlin« ihr Gruppenprojekt. Im Auflösungsschreiben zog die ALB ein vernichtendes Resümee: »Ehemals bewährte Konzepte und Ansätze eignen sich nur noch bedingt für die politischen Fragen unserer Zeit. Bei manchen Entwicklungen – vor allem Flüchtlingsproteste, Krieg und Frieden und Überwachung – befindet sich die radikale Linke in einer Schockstarre, und braucht manchmal Wochen, um sich überhaupt zu äußern.«

Die Auflösung der ALB, eine für Berlin wichtige und prägende Gruppe, löste eine erste größere Debatte aus: Ist das Konzept Antifa gescheitert, weil man mit Antifa eben nicht die Welt erklären kann?

Weitere Artikel und Beiträge zur bisherigen Debatte

Deniz Yücel erklärt in der taz im April 2014 das Erfolgsrezept einer antifaschistischen Aktion: »um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern, braucht es dreierlei: Eine große Menge friedlicher Blockierer, die nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch alle Verbindungsstraßen blockieren, ein bisschen Militanz zur rechten Zeit und eine Polizei, die keine Lust verspürt, den Nazis den Weg freizuprügeln (und dafür selber Prügel einzustecken).«​

Florian Schmid schreibt im nd im Juli 2014 über die Transformation der »autonomen antifa [f]« in »kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt«: »Antifa war gestern, heute ist Kapitalismuskritik«.

Marlene Gürgen sieht in der taz im September 2014 die Auflösung der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) als »eine Zäsur für eine linksradikale Politik der Stadt«

Martin Kröger kommentiert im nd, dass der Niedergang der politischen Antifa-Jugendbewegung mit der Auflösung der ALB einen neuen Höhepunkt erreichte, aber dass jedem Ende auch ein Anfang innewohnt.

Maike Zimmermann ergänzt im nd: Die Antifabewegung sei in der Krise, aber das sei weniger schlimm, als es klinge.

Die gleiche Autorin zieht im Oktober in »analyse und kritik« (ak) das Resümee: »Antifaschistische Arbeit bleibt richtig und notwendig. Antifaschismus kann Menschen mobilisieren, vielleicht sogar an Politik heranführen, kann Empörung kanalisieren und zuweilen Neonazis und RassistInnen zurückdrängen. Aber Antifaschismus taugt deswegen wenn überhaupt nur als strategisches, aber eben nicht als politisches Konzept, weil man sich über ihn allein kein kritisches Bild der Gesellschaft machen kann. Und ohne kritisches Bild der Gesellschaft keine grundlegende politische Veränderung.«

Jan Tölva weist in der Jungle World darauf hin: »Auch das Bekanntwerden des NSU im November 2011 hat die Antifaszene nachdenklich gestimmt. Dem NSU hat die Antifa genauso wenig entgegensetzen können wie Staat oder Politik.«

Ines Wallrodt berichtet im nd im November 2014 ausführlich über die Neubegründung der Interventionistischen Linken als »Organisation im Werden«. Zu den mehr als 20 Gruppen, die in der IL mitmachen, gehören auch frühere Antifagruppen.

Die Göttinger Gruppe ALI facht mit ihrem Appell »Antifa heißt: Weitermachen!« zu Jahresende 2014 die Debatte neu an: »Wir sind nicht der Meinung, dass ›Antifa‹ ein Konzept aus der Vergangenheit ist, sondern sehen die Notwendigkeit, es weiterzuentwickeln.« Auf der gesellschaftlichen Ebene seien die damaligen WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus moralische Instanzen gewesen, »um beispielsweise gegen Neonaziaufmärsche zu mobilisieren. Diese Menschen weilen nur noch vereinzelt unter uns. Durch den Wegfall dieser historischen Tiefe ändert sich auch die gegenwärtige antifaschistische Politisierung und Politik ›der Antifa‹«. Die Gruppe ALI widerspricht den Einschätzungen ihrer Frankfurter Genoss/innen von K&P und der Schlussfolgerung von Maike Zimmermann: »Antifa« bedeute für ALI immer auch eine anti-staatliche Haltung: »Die Stärke der Antifa ist dabei, mit den diskursiven und gesellschaftspolitischen Veränderungen die eigene Politik zwar inhaltlich und strategisch neu auszurichten, aber dem Staat gegenüber immer antagonistisch zu bleiben anstatt im uneindeutigen Verschwimmen von Standpunkten zu zerfließen. So steht für uns heute auf der Agenda, eindeutig gegen Neoliberalismus, Nationalismus, geschichtsrevisionistische und imperialistische Kriegspolitik und (antiarabischen) Rassismus vorzugehen.« Eine Kurzfassung ihres Textes erscheint erstmals im nd-Bewegungsblog.

»Siempre*Antifa« aus Frankfurt am Main zielt mit ihrem Beitrag »Antifa bleibt notwendig!« zu Jahresbeginn 2015 in eine ähnliche Richtung. Außerdem kritisiert die Gruppe die schleichende Abkehr von autonomer Praxis und das Aufgehen in größeren Organisierungsprozessen. Dies erscheine ihnen »nicht als Reorganisierung der Bewegung zur Erhöhung der Schlagkraft, sondern im Gegenteil als Eingeständnis der eigenen konzeptionellen und aktivistischen Schwäche«. Notwendig sei die »Erweiterung autonomer und antifaschistischer Praxis. Eine solche Verbindung ist überall in Europa möglich: die vielfältigen Protestformen in ihrer radikalisierten Form wie in Südeuropa und zuletzt der militante belgische Generalstreik haben diese Richtung aufgezeigt.« Und: »Antifaschismus im Jahr 2015 ist nicht zuletzt vor allem antirassistische Arbeit. Die inhaltliche und organisatorische Zusammenlegung der unverständlicherweise getrennt agierenden Bewegungen Antifa und Antira erscheint hier dringend notwendig«.

Fatty McDirty​ fragt im lower-class-magazine, welchen Antifaschismus wir heute brauchen angesichts der Tatsache, dass die Rechte im Aufwind ist und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Ressentiments in Deutschland Hochkonjunktur haben. Er befasst sich mit den Mitteln antifaschistischer Politik. Die Palette der Interventionsmöglichkeiten sei groß und reich an Varianten: »Blockaden, Outings, militante Aktionen sind legitim. Aber sie alle haben eines gemeinsam: Sie setzen da an, wo es schon rechte Mobilisierungen gibt. Noch sinnvoller sind aber Politikstrategien, die es erst gar nicht dazu kommen lassen. Dort, wo es eine starke antifaschistische, linksradikale Hausmacht gibt, kann schon präventiv der rechten Rattenfängerei eine Absage erteilt werden.«

Die »radikale linke | berlin« wirft im nd einen Blick auf die politische Landkarte Europas, der zeigt, dass »Antifa« nicht überflüssig und veraltet ist: »Neonazistische Bewegungen wie Chrysi Avgi in Griechenland sind zu Massenbewegungen geworden, Parteien des rechten Rands wie die österreichische FPÖ oder der französische Front National kommen in der Wählergunst zeitweise auf 25 Prozent und mehr.«

Für Peter Schaber in der jungen Welt ist antifaschistische Aktion mehr als der Kampf gegen Neonazis auf der Straße: »Der Kampf um das ›Recht auf Stadt‹, gegen Gentrifizierung und Mietsteigerung, der gemeinsame Kampf mit Beschäftigten wie denen bei Amazon oder der ›Mall of Berlin‹. Denn hier, nicht in reaktiven Gegenprotesten, wird gesellschaftliches Terrain gewonnen.«

Susann Witt-Stahl stellt im nd provokant fest: Antifaschismus sei heute zunehmend systemfromm und affirmativ. Er droht, zur Ode an die freie Marktwirtschaft zu verkommen.

Die North East Antifa (NEA) aus Berlin schreibt in ihrem nd-Beitrag, dass Widerstand und die Präsenz auf der Straße eine politische Notwendigkeit ist: »In Zeiten von PEGIDA, AfD & Co muss der konkrete antirassistische und antifaschistische Widerstand intensiviert werden. [...] Der Begriff ›Antifaschistische Aktion‹ bedeutete immer eine Kampfansage an ein ausbeuterisches, menschenfeindliches System und dessen Profiteure.«

Die Frankfurter Gruppe »Kritik & Praxis - radikale Linke« schreibt in ihrem nd-Debattenbeitrag »Krise, welche Krise?«, dass die »Krise der Antifa« höchstens die Krise der Biografien von Antifa-Aktivist*innen sei. Noch längst nicht sei die notwendige Fokusverschiebung auf allgemeine Gesellschaftskritik in allen Teilen der Antifa angekommen. Dabei sei die Verschiebung des Koordinatensystems der antiautoritären Linken und ihrer Inhalte notwendig. Das heiße nicht, mit Antifa als Abwehrkampf aufzuhören, aber die Frage »Wie werfen wir die Verhältnisse um?« ins Zentrum zu stellen. Die Proteste gegen die Europäische Zentralbank am 18. März 2015 in Frankfurt am Main waren ein Anfang - auch für den Aufbau von linken Strukturen über die eigenen Grenzen hinaus.

Wird fortgesetzt...

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