Religiöse Verbrämung statt Analyse

Sabine Küper-Büsch: Es gibt keinen Grund, in Zwangsmaßnahmen Ankaras eine zunehmende Islamisierung zu wittern

  • Sabine Küper-Büsch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Knute der Zensur schlägt in der Türkei mal wieder unbarmherzig zu. Die Tageszeitung Cumhuriyet wurde an der Auslieferung einer Ausgabe gehindert, weil sie Mohammed-Karikaturen nachgedruckt hatte. Einige Internetportale wurden aus dem gleichen Grunde gesperrt. Schon Mitte Dezember nahmen Spezialeinheiten der türkischen Polizei 25 Journalisten einer Mediengruppe fest, die der Bewegung des Islamistenführers Fethullah Gülen nahesteht. Die türkische Regierung, die sich angesichts des mörderischen Anschlags auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris über den Angriff auf die Meinungsfreiheit empörte, zeigt den oppositionellen türkischen Medien die Zähne. Doch steht die Diktatur, eine islamistische gar, deswegen kurz bevor? Warum werden repressive Systeme wie Russland nicht mit kulturalisierenden Attributen versehen? Oligarchische Machtstrukturen, Zensur und Kontrolle der Medien sind nur einige der Gemeinsamkeiten. Putin inszeniert sich gern mit nackter Brust und einem Goldkreuz darauf.

Die Aktionen von feministischen Formationen wie Pussy Riot zielen auf den fortschreitenden Schulterschluss von politischer Repression, religiöser Frömmelei und einem bigotten Sexismus, der neben der Heiligung der Familienwerte eine steigende Gewalt an Frauen in den Familien ignoriert. Heilige Werte erzeugen global bizarre Wahrnehmungen. Die Chefredakteurin des regierungsnahen russischen TV-Senders »Russia Today«, Margarita Simonyan, verkündete nach den Anschlägen von Paris pathetisch: »Wenn der dritte Weltkrieg ausbricht, stehen Russland und der Westen auf der gleichen Seite der Barrikaden.«

Keine Satirezeitschrift könnte den angeblichen »Kampf der Kulturen« besser karikieren als diese Aussage. Russische Orthodoxe in Moskau feierten übrigens, ebenso wie Islamisten in Istanbul, den Anschlag auf Charlie Hebdo als gerechte Strafe für die blasphemischen Darstellungen von Mohammed und Jesus Christus in der Zeitschrift. Wurde darüber berichtet?

Vernachlässigt wird auch gern die Solidarität mit den Islamisten im Nahen Osten. Selbst im zerbombten Aleppo gab es spontane Demonstrationen für die Ermordeten in Paris. In Nordsyrien leidet die Zivilbevölkerung jeden Tag unter der Gewalttätigkeit von Dschihadisten. In Istanbul protestierten Menschen zeitgleich mit denen anderer Metropolen weltweit und positionierten sich klar für Presse- und Meinungsfreiheit.

Die fortschreitende Repression gegenüber den Medien in der Türkei ist eine traurige Realität, aber es handelt sich hier eher um eine Rückkehr zu den Strukturen der früher auch vom Militär dominierten säkularen politischen Eliten. Kontrolle der Medien, der Judikative, eine Vermengung von Nationalismus und Volkskultur zu Ungunsten der Frauen, diese Merkmale waren typisch auch für die Regierungen davor. Die türkische Frauenbewegung setzte sich jahrzehntelang für Reformen ein. Erst die AKP-Regierung schuf 2004 Gesetze, die eine konsequente Bestrafung von Gewalt in den Familien ermöglichte und schaffte die Strafmilderungen bei Ehrenmorden ab. Das geschah vor allem mit dem Ziel einer türkischen Annäherung an die EU.

Seit einigen Jahren schon wird der progressive Kurs nicht revidiert, aber korrigiert und in konservative Bahnen gelenkt. Statt Frauenhäusern werden Familienkonfliktlösungszentren eingerichtet, feministische Projekte werden nicht mehr staatlich unterstützt. Das hat aber nichts mit Islamisierung, sondern mit politischem Kalkül zu tun. Für einen Großteil der konservativen Wähler war die Wende der letzten Jahre hin zu EU-kompatiblen Werten rapide. Eine Akzeptanz von Frauenrechten hätte von der Regierung politisch konsequent vertreten werden müssen. Stattdessen lieben es Erdoğan und auch andere AKP-Politiker, in politisch heiklen Situationen laut über die Abschaffung des Rechtes auf Abtreibung oder andere Reizthemen nachzudenken.

Diesen Populismus teilen sie mit vielen Politikern weltweit. Die AKP fürchtet sich momentan vor allem vor den Kritikern aus den eigenen Reihen. Die ebenfalls islamisch-konservative Gülen-Bewegung steht im Zentrum der Repression, weil sie Korruptionsskandale und Waffenlieferungen der Türkei nach Syrien öffentlich gemacht hat. Die Hintergründe sind komplex, eine Beschwörung einfacher Feindbilder wie »des Islam« oder »des Islamismus« helfen da nicht weiter.

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