Poker per Fingerzeig

»Ching Chang Chong«: Kaum Zufall, aber viel Strategie und Psychotricks

  • Lesedauer: 4 Min.
Oft hat uns Schere-Stein-Papier vor Auseinandersetzungen bewahrt. Wie sie alle Spiele gewinnen werden und welchen Zusammenhang das Wirtschaftswesen mit einer Runde Schnick-Schnack-Schnuck hat erfahren sie in unserem Interview.

Dieses witzige Duell per Handzeichen hat ja viele Bezeichnungen. In Deutschland unter anderem auch »Ching Chang Chong«, was ja irgendwie asiatisch klingt ...
Vielleicht soll das ja tatsächlich eine Verbeugung vor fernöstlichen Wurzeln sein. Immerhin hat der Autor Xie Zhaozhi gegen Ende der Ming-Dynastie ein Spiel, das dem »Ching Chang Chong« sehr ähnlich war, im Jahr 1600 beschrieben und berichtet, jenes »Shoushiling«, übersetzt: »Handkommando«, sei in der frühen Han-Dynastie ab 206 vor unserer Zeitrechnung entstanden.

Auch Sie haben über »Ching Chang Chong« publiziert und einen »Official Rock Paper Scissors Strategy Guide« herausgegeben. Gibt dieses - wie wir meinen - ausschließliche Zufallsspiel so viel her?
Es ist genau das Gegenteil von Zufallsspiel. Weil die Art, wie die Leute im Wettkampf agieren, nicht auf Zufall, sondern jeweils auf einer aktiven Entscheidung beruht. Und nehmen sich die Beteiligten ausnahmsweise mal vor, nach dem Zufallsprinzip vorzugehen, schneiden sie meist ganz schlecht ab. Denn es wird dann leichter, ihr Spielverhalten auszurechnen.

Und welche Strategien sind erfolgversprechend?
Beobachten Sie Ihre Gegner, bestimmte Körperbewegungen deuten auf eine bestimmte Figur hin. Suchen Sie nach Hinweisen, was die nächste Aktion sein könnte. Oft entscheiden sich die Spieler genau für das Symbol, mit dem ihr Gegner zuvor gewonnen hat. Außerdem wird ein Kandidat, der dreimal hintereinander den Stein gezeigt hat, fast niemals ein viertes Mal darauf setzen.

Welche Rolle spielen Psychotricks?
Die Macht der Suggestion ist äußerst effektiv. Sagen Sie dem jeweiligen Gegner, was Sie zeigen werden; das erweckt den Eindruck, dass Sie genau das nicht machen werden und provoziert als Folge exakt eine Reaktion, die Sie haben wollen. Spielen Sie zum Auftakt eines Matches ein Muster, das sich dem Gegner einprägt, zum Beispiel wiederholt Stein und Papier, und weichen Sie im entscheidenden Moment eines Satzes davon ab.

Wie gehen Sie vor, um zu gewinnen?
Vorher informiere mich über meine Gegner, analysiere, wie sie in Turnieren zum Erfolg gekommen sind. Das setze ich in Beziehung zu dem, was ich während des Kampfes beobachte: wie die Hände bewegt werden und welche Positionen sie einnehmen. Die Körpersprache ist der Schlüssel.

Das erinnert ein wenig an Poker.
Ja, Bluffs plus Hypothesen, was der andere im konkreten Augenblick vorhat, gehören zu beiden Spielen.

Trotzdem bietet ein Match wenig Abwechslung. Am Ende gewinnen immer entweder Schere oder Stein oder Papier, andere Möglichkeiten gibt es nicht.
Selbst wenn die Struktur eines Spiels simpel ist, bedeutet das keineswegs, dass der Sieg über einen geschickten Opponenten nicht befriedigend sein kann. Denken Sie an das Brettspiel Go: Die Regeln sind einfach, aber gut beherrscht ist Go genial.

Sie haben in einem Interview für ein Magazin in Hongkong behauptet, dass Strategie und Taktik von »Ching Chang Chong« vor allem bei kontroversen Entscheidungen durchaus auch auf die Wirtschaft oder in andere Lebensbereiche übertragen werden können. Ein Scherz?
Oh nein! Einschränkend möchte ich jedoch sagen, dass eine solche Zuhilfenahme am besten funktioniert, wenn etwas getan werden muss, das niemand machen will, oder wenn zwei Handlungsalternativen denkbar und akzeptabel sind, aber keine Einigung darüber erzielt werden kann. Dann ist es weise, die Debatte mit RPS auf den Punkt zu bringen und zu beenden. Das kürzt sonst endlose Diskussionen ab.

Kritische Beobachter der Businesselite meinen ohnehin, dass die sich nicht von Fakten, Analysen und Schlüssen leiten lässt, sondern die Entscheidungen »erspielt«. Da muss ja was dran sein, wenn wir das, was Sie sagen, für bare Münze nehmen.
Die meisten menschlichen Entscheidungen basieren nicht auf Logik, sondern werden aus der Emotion heraus getroffen und erst hinterher mit nachgeschobenen rationalen Erklärungen gerechtfertigt. Entsprechend nehme ich an, dass es auf dem ökonomischen Sektor nicht anders ist.

Schließlich zusammengefasst: Warum haben Sie so einen Narren an »Ching Chang Chong« als Wettkampfdisziplin gefressen?
Ich liebe es gerade und vor allem deshalb, weil es dermaßen schlicht und dennoch grandios ist. Dabei reduziert sich die Aktion beim Spiel selbst auf das pure Duell der beteiligten Personen und ihrer jeweiligen Fähigkeiten, den anderen sekundenschnell einzuschätzen.

Wann gibt es die nächste Weltmeisterschaft?
Wir haben leider eine längere Pause einlegen müssen im WM-Zyklus, nachdem die letzten Welttitelkämpfe 2010 in Toronto ausgetragen worden sind. Derartige Veranstaltungen kosten viel Zeit und Kraft, um sie zu organisieren, und in unserem Leben gibt es noch andere Dinge, auf die wir uns konzentrieren müssen. Inzwischen denken wir aber wieder ernsthaft darüber nach, entweder 2015 oder 2016 wieder eine Weltmeisterschaft auszurichten.

»Ching Chang Chong«-Weltverband World RPS Society: www.worldrps.com; Handbuch mit den besten »Ching Chang Chong«-Strategien und -Taktiken: »The Official Rock Paper Scissors Strategy Guide« von Douglas und Graham Walker; Verlag Touchstone; 208 Seiten; im online-Vertrieb ab 8 Euro

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