Informationen aus falscher Quelle

Ärzte verordnen oft weiter, was der Arzneimittelprüfung nicht standhielt

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit vier Jahren werden neue Arzneien auf ihren Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Mitteln geprüft. Obwohl es den oftmals gar nicht gibt, werden sie dennoch verschrieben, sagt eine neue Analyse.

Wolf-Dieter Ludwig ist Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und selbst Krebsmediziner. Er erlebt es oft, dass Patienten ein bestimmtes Medikament einnehmen wollen, von dem er nicht überzeugt ist, weil es keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber traditionellen Arzneien hat. Im Zweifelsfall, so Ludwig, entscheide er sich in der Regel für die bewährte Arznei, mit der es langjährige Erfahrungen gibt. Bei einem neuen Mittel könne man diese naturgemäß nicht haben. Woher die Informationen der Patienten stammen, darüber kann Ludwig nur spekulieren. Doch dass sie nicht aus den Ergebnissen einer seit 2011 gesetzlich festgelegten zusätzlichen Nutzenbewertung von neuen Arzneien herrühren, ist sicher. Diese Bewertungen haben in den vergangenen Jahren 64 Mal stattgefunden. Nur jedem zweiten Präparat konnte ein Zusatznutzen bescheinigt werden. Das Verschreibungsverhalten der Ärzte bleibt von den Untersuchungsergebnissen relativ unbeeinflusst, wie eine Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse ergab, die gestern in Berlin präsentiert wurde. »Wir nutzen dieses Wissen derzeit definitiv nicht«, bilanziert Ludwig. Eher verließen sich Ärzte auf Pharmavertreter oder Herstellerfortbildung.

Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) sorgt dafür, dass Arzneimittel neben der üblichen Zulassungsprozedur, in der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Produktqualität geprüft werden, auch den Mehrwert oder zusätzlichen Nutzen unter Beweis stellen müssen, den sie gegenüber den bereits auf dem Markt befindlichen Mitteln aufweisen. Erst wenn dieser Mehrwert für den Patienten anerkannt ist, verhandeln die gesetzlichen Krankenkassen mit den Herstellern über die Höhe der Erstattungskosten. Bis dahin bestimmt das Pharmaunternehmen den Preis. Ginge es nach dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen würden die verhandelten Preise rückwirkend gelten, um überhöhte Forderungen der Hersteller in den ersten 12 bis 15 Monaten zu verhindern. Doch das scheint momentan ebenso eine Zukunftsvision zu sein wie die Überprüfung des Zusatznutzens von Medikamenten, die vor dem 1. Januar 2011 eingeführt wurden, dem sogenannten Bestandsmarkt. Seine Überprüfung war ursprünglich ebenfalls Bestandteil des AMNOG. Das wurde aber im Herbst 2013 nach erfolgreicher Intervention durch die Pharmaindustrie in den Koalitionsverhandlungen der schwarz-roten Regierung gestoppt und später durch den CDU-Bundesgesundheitsminister gesetzlich fixiert. Im Sinne der Patienten sei dies nicht, findet der DAK-Vorstandsvorsitzende, Herbert Rebscher.

Während der Verband Forschender Arzneimittelhersteller wiederholt die Ausrichtung der Zusatznutzenprüfung auf die Kostendämpfung kritisiert, hält CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn das Gesetz für revolutionär. Es »bedeutet das Ende der Mondpreise für Medikamente«, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Ganz anders urteilt Sabine Zimmermann, Vizevorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Weder Lobhudelei für die Bundesregierung noch Jammerei der Pharmaindustrie seien hier angebracht, erklärte sie, und kritisierte, dass in der Versorgung bleiben dürfe, was »billig ist und wenig taugt«. Zudem untergrüben die Preisverhandlungen hinter verschlossenen Türen das Vertrauen in die Veranstaltung. Richtig wäre eine transparente und nachvollziehbare Preisfestsetzung nach klaren Qualitätskriterien: Was besser ist, darf auch mehr kosten.

Der DAK-Report zeigt Zimmermann zufolge darüber hinaus, dass die beste Nutzenbewertung wenig taugt, wenn sie nicht in der Patientenversorgung berücksichtigt wird: »Das Unwesen der Pharmavertreter gehört ebenso streng reguliert wie verkappte Verordnungsprämien, die hinter vielen angeblichen Beobachtungsstudien stecken.«

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