Herrscher für hundert Tage

Wie Napoleons Rückkehr aus der Verbannung 1815 Europa aufschreckte

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 4 Min.

Wien, 7. März 1815. Um sechs Uhr morgens weckt ein Kammerdiener den österreichischen Außenminister Fürst Metternich und übergibt ihm eine Eildepesche. Metternich ist die graue Eminenz des Wiener Kongresses, auf dem Vertreter der Großmächte Russland, Großbritannien, Österreich, Preußen und Frankreich nach einem Vierteljahrhundert der Kriege und revolutionärer Umwälzungen die Verhältnisse in Europa und Deutschland neu ordnen wollen. Da sich die Verhandlungen, Empfänge und Bälle bis tief in die Nacht und mitunter bis in die frühen Morgenstunden hinziehen, ist Metternich zu dieser Stunde natürlich todmüde. Er wirft einen Blick auf den Absender der Depesche und stellt fest, dass sie aus Genua kommt. Was soll da schon Eiliges drinstehen? Der Fürst legt die Depesche beiseite und schließt die Augen. Doch der Schlaf will sich nicht wieder einstellen. So öffnet er denn gegen 7.30 Uhr das Schreiben. Plötzlich ist er hellwach und springt mit einem Satz aus dem Bett. In der Depesche steht, Napoleon sei entflohen.

Der französische Kaiser war im April 1814 abgesetzt und nach der italienischen Insel Elba verbannt worden. Die siegreichen Alliierten hatten ihm erlaubt, 1100 seiner Soldaten mit auf die Insel zu nehmen. In Frankreich wurde der Bourbonenkönig Ludwig XVIII. - ein Bruder des 1793 hingerichteten Ludwig XVI. - eingesetzt. Die Bourbonen und ihre Anhänger waren lediglich dank der Alliierten wieder zur Herrschaft gelangt. Sie führten sich aber auf, als hätten sie aus eigener Kraft gesiegt. Im ganzen Land wüteten die Priester von den Kanzeln gegen die Ergebnisse der Revolution und Napoleons Dekrete. Es war offensichtlich, dass es den Ultraroyalisten um die Rückkehr zum Ancien Régime, der alten Feudalordnung ging. Viele Bauern, die Emigrantengüter oder konfisziertes Kirchenland gekauft hatten, befürchteten nun, man werde ihnen das Land wegnehmen und womöglich gar den Zehnten oder Frondienste wieder einführen. Besonders groß war der Unmut in der Armee. Die Bourbonen hatten 22 000 napoleonische Offiziere verabschiedet oder auf halben Sold gesetzt; an ihrer Stelle wurden adlige Emigranten eingestellt.

Von seiner Insel aus beobachtete Napoleon aufmerksam, wie sich das Bourbonenregime in Frankreich immer unbeliebter machte und wie sich in Wien die Sieger verzankten. Am 26. Februar 1815 sah er die Stunde seines Comebacks gekommen. Auf sieben kleinen Segelschiffen verließ Napoleon mit seinen 1100 Mann heimlich die Insel. Drei Tage später landete er an der französischen Küste. Das Bourbonenregime brach bei seiner Ankunft wie ein Kartenhaus zusammen. Ludwig XVIII. floh aus Paris. Bereits am 20. März 1815 zog Napoleon in der französischen Hauptstadt ein und riss die Herrschaft wieder an sich. Die Schockstarre in Wien währte nicht lange. Europas Monarchen und Minister verkündeten, sie müssten die Unabhängigkeit der Völker gegenüber Bonaparte verteidigen. In Wirklichkeit ging es ihnen, wie der französische Historiker Georges Lefèbvre betonte, darum, »endgültig die Revolution zu vernichten, indem sie den Mann fällten, der sie in ihren Augen verkörperte«.

Während Napoleons Marsch auf Paris, war in Frankreich erneut eine revolutionäre Stimmung erwacht, die der Usurpator zunächst aufgriff. Den Hass auf Adlige und Priester für seine Zwecke nutzend, rief Bonaparte in Autun aus: »Ich werde sie an den Laternen aufknüpfen lassen.« In Paris zogen Arbeiter in Richtung der Tuilerien, das Stadtschloss der französischen Könige, und skandierten: »Es lebe der Kaiser! Nieder mit den Pfaffen! Die Adligen an die Laternen!« Napoleon freilich dachte nicht im Ernst daran, sich auf diese frühproletarischen Kräfte zu stützen. Er umwarb das Bürgertum, schaffte die Zensur ab und führte die Pressefreiheit wieder ein. In der von ihm gebildeten neuen Regierung besetzten die wichtigsten Ressorts (Krieg, Inneres, Äußeres und Polizei) einstige Getreue, aber auch ehemalige Kritiker: Louis Nicolas Davout, Lazare Carnot, Armand Caulaincourt und Joseph Fouché.

Napoleons neuerliche Herrschaft sollte nur hundert Tage währen. Der Wiener Kongress erklärte ihn für geächtet. Großbritannien, Österreich, Russland und Preußen schlossen erneut einen Koalitionsvertrag. Am 18. Juni 1815 wurde Napoleon in der Schlacht bei Waterloo von den Truppen der Marschälle Wellington und Blücher besiegt, vier Tage später musste er erneut abdanken. Die Sieger verbannten ihn nun auf das Felseneiland Sankt Helena weitab im Südatlantik, wo er 1821 verstarb.

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