Tödliche Medizin

Dänischer Forscher klagt die Pharmaindustrie der »Organisierten Kriminalität« an

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zulassungsverfahren für Medikamente sind nicht darauf ausgerichtet, Risiken effektiv zu minimieren. Dies kritisiert ein Medizinexperte aus Kopenhagen in seinem neusten Buch.

Medizin tötet: Jeder Beipackzettel eines Medikaments informiert über Risiken, die selbst bei »harmlosen« Pillen tödlich enden können. Forschende Pharma-Unternehmen sind im Gegensatz zu den Generika-Verkäufern, die lediglich alte Produkte nachahmen, deren Patentschutz ausgelaufen ist, auf wenige teure »Blockbuster« mit Milliardenumsätzen angewiesen. Das sorgt für überdurchschnittliche Profite und damit finanzieren die Konzerne die üppige Werbung, aber auch eine breite Forschung. Auch dass Massenphänomene in den Industrieländern wie Diabetes oder Kreislaufprobleme die Manager der Pharmaunternehmen mehr anspornen als seltene oder tropische Krankheiten, mag man heutzutage achselzuckend zur Kenntnis nehmen.

Peter C. Gøtzsche spitzt die Kritik an der Pharmabranche polemisch zu: Der Pharmariese Roche aus der Schweiz, erinnert der dänische Medizinforscher bei einem Vortrag vor der Dänischen Gesellschaft für Rheumatologie, sei durch den Verkauf von Heroin groß geworden. Und der US-Konzern Abbot schweigt Studien tot, welche die Gefährlichkeit eines Schlankheitsmittels belegen. Gøtz-sche geht aber noch einen gewagten Schritt weiter und wirft der tödlichen Medizin vor, zur »Organisierten Kriminalität« (OK) zu gehören. Der Direktor des Nordic Cochrane Centers am Reichshospital in Kopenhagen listet in seiner neuesten Veröffentlichung auf 500 Seiten Verfehlung auf Verfehlung der »schlimmsten aller Branchen« auf – von der manipulierten Studie über Kartelle und Bestechungen bis zum Kauf von tausenden Ärzten als Berater.

Die Pharmaindustrie widerspricht solchen Vorwürfen seit Jahrzehnten vehement. Sie spricht lieber von Einzelfällen und schlimmen Entgleisungen. Und die enge Zusammenarbeit mit Gesundheitsberufen sei wichtig, um Behandlungsergebnisse zu verbessern und Innovationen zu fördern. Schließlich sei an den hohen medizinischen Standards in den reichen Ländern kaum zu deuteln.

»Routinemäßig« werden Gesetze gebrochen, hält Gøtzsche in seinem beängstigenden Buch dagegen. Aber wie rutschen die Konzerne eigentlich durch die Prüfungen der Zulassungsbehörden? Der mutige Mediziner vergleicht die Zulassungsverfahren mit dem TÜV, bei dem das Auto zur Prüfung vorgefahren und von Experten gecheckt wird. Die Zulassung von Arzneimitteln erfolgt jedoch anders – nämlich nach Aktenlage.

Dabei kann die klinische Dokumentation für nur drei Medikamente schon mal 70 Regalmeter mit Ordnern füllen. Wenn in einem solchen Papierstapel irgendwo versteckt sei, dass »die Bremsen« versagen, würden das die Prüfer nie herausfinden, erläutert Gøtzsche. »Gerichtsverfahren haben enthüllt, dass Pharmaunternehmen in ihren riesigen Datenmengen schwere Nebenwirkungen verschleiern, ohne dass die Behörden ihnen auf die Schliche kommen.« Die umfassenden Lösungsvorschläge des Dänen sind ein Plädoyer für politische Reformen weltweit. Gøtzsche nennt das, was nötig ist, eine »Revolution«.

Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert, Riva Verlag, München 2015, 512 Seiten, 24,99 €.

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