Der Markt wird es nicht richten

Die Erforschung neuer Medikamente muss nicht der Industrie überlassen bleiben

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Der inzwischen 20. Kongress für Armut und Gesundheit in Berlin beschäftigte sich auch mit der Frage, welche Verantwortung die Öffentlichkeit für die Pharmaforschung übernehmen sollte.

Der diesjährige, mittlerweile schon 20. Kongress für Armut und Gesundheit steht unter dem Motto »Gesundheit gemeinsam verantworten«. In über 100 Einzelveranstaltungen thematisiert er am Mittwoch und Donnerstag in Berlin nicht nur Hilfen für besonders verletzliche Gruppen der Gesellschaft - darunter Kinder, Arbeitslose, Ältere und Zuwanderer - sondern auch alternative Konzepte für die Gesundheitspolitik. Ein Workshop fragte etwa nach der öffentlichen Verantwortung für die Erforschung neuer Wirkstoffe und Medikamente.

Staatlich finanzierte Grundlagenforschung findet einen großen Teil der Stoffe, die später von Pharmaunternehmen bis zur Zulassungsreife entwickelt und anschließend gewinnbringend vermarktet werden. Eine Feststellung des öffentlichen Bedarfs für notwendige Medikamente gab es in früheren Jahren im in diesem Bereich vorbildlichen Skandinavien. In Deutschland wird sie bisher von der Politik nur vereinzelt gefordert. Der Einfluss der Öffentlichkeit vor allem auf die kommerziellen Forschungsziele fehlt völlig.

Ändern ließe sich das nach verschiedenen Modellen: Im Workshop wurden einige dieser Ansätze von Christian Wagner-Ahlfs von der industriekritischen BUKO Pharmakampagne vorgestellt. So will etwa der US-Ökonom Dean Baker die Konzeption von Zulassungsstudien generell in staatliche Hände legen. Durchgeführt werden könnten sie von Universitäten oder Unternehmen, die anschließend alle Daten veröffentlichen müssten. Finanziert würden die Studien durch vierzigprozentige Einsparungen bei der Finanzierung von Medikamenten durch den öffentlichen Gesundheitsdienst Medicare. Pro Jahr ließe sich so ein Viertel des gesamten Forschungsaufwandes sparen. Wagner-Ahlfs fasste weitere Vorteile so zusammen: »Doppelungen werden vermieden, die höhere Transparenz sorgt automatisch für mehr Qualität, ähnliche Medikamente könnten eher auf ihren Nutzen verglichen werden.«

Einen innovativen Weg bei der Finanzierung öffentlicher Forschung ging jüngst Italien: Dort werden mit einer fünfprozentigen Steuer auf Pharmawerbung jährlich 40 Millionen Euro eingenommen. In Deutschland geschieht öffentliche Forschung an Universitäten teils durch einen bescheidenen Etat von jährlich 15 Millionen Euro, der durch das Forschungsministerium vergeben wird. Der gilt ausdrücklich nicht für zulassungsrelevanten Themen - die werden grundsätzlich der Industrie überlassen.

International fehlt es vor allem an Medikamenten für vernachlässigte Krankheiten, bei denen die Mehrheit der Patienten in ärmeren Ländern lebt und - aus Sicht der Pharmahersteller - niemals ausreichend zahlungskräftig sein wird. Dennoch können mit Hilfe öffentlicher Forschung, unter Einbindung der Industrie, auch hier Fortschritte erzielt werden. Wagner-Ahlfs verwies auf ein neues Malaria-Medikament. Es wurde in globaler Kooperation von Forschungseinrichtungen entwickelt und blieb von Anfang an ohne Patentschutz. Inzwischen produzieren es indische und brasilianische Firmen.

Eines der häufigsten Argumente gegen mehr öffentlich finanzierte Forschung sind die angeblich hohen Kosten, mit denen seitens der Industrie zugleich hohe Preise für Medikamente und erst recht für Innovationen gerechtfertigt werden. Der Rechtsanwalt Karsten Engelke aus Berlin wies am Donnerstag nach, dass die Datenlage hierzu allerdings eher schlecht ist. Zwar wurden im Jahr 2014 Forschungskosten von durchschnittlich 2,5 Milliarden US-Dollar pro Medikament angegeben. Gänzlich andere Zahlen ergibt aber ein US-Steuererstattungsprogramm für sogenannte Orphan drugs, die bei seltenen Krankheiten zum Einsatz kommen: Für 14 Neuzulassungen im Jahr 2010 wurde die Hälfte der Entwicklungskosten erstattet. Ganze 650 Millionen Dollar waren das unter dem Strich, also nur 50 Millionen Dollar pro Zulassung.

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