Ratingagenturen vor Gericht

Enge Verflechtungen zwischen Großbank und Bewertungsgesellschaft kosteten Italien möglicherweise 2,5 Milliarden Euro

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
2011 wurde Italien abgewertet. Vom vereinbarten Strafgeld profitierte eine Großbank. Nun soll ein Prozess Ungereimtheiten aufklären.

In Italien geht der Prozess gegen die Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P) und Fitch in die nächste Runde. Die Agenturen werden beschuldigt, Italien im September 2011 ungerechtfertigt abgewertet zu haben, wodurch der Markt stark beeinflusst und Spekulationen gegen das Mittelmeerland angefacht wurden. In den letzten Tagen sind neue Elemente aufgetaucht, die darauf schließen lassen, dass S&P mit der Abwertung die Geschäftsbank Morgan Stanley begünstigt hat, die über das Medienunternehmen McGraw Hill Miteigentümer der Ratingagentur ist.

Die Fakten sind komplex: 2011 wurde die Kreditwürdigkeit Italiens von A auf BBB+ herabgestuft; schon damals erschien dieses Downgrading unverständlich und dubios. Nun hat sich herausgestellt, dass Morgan Stanley aufgrund der Herabstufung sofort 2,5 Milliarden Euro »verdiente«. Die Geschäftsbank hatte Italien 1994 einen Kredit gewährt. Im Vertrag war eine unübliche Klausel enthalten, die besagte, dass bei einer Herabstufung des Landes eine »Strafzahlung« fällig sei. Diese betrug 2,5 Milliarden, die Italien 2012 prompt zahlte. Zusätzlich zur Verwicklung von S&P mit McGraw und Morgan Stanley wird die ganze Sache auch dadurch brisant, dass in der Führungsriege von S&P auch der Italiener Domenico Siniscalco sitzt, der unter dem ehemaligen Staatschef Silvio Berlusconi Finanzminister war.

Eine Frage, auf die die Staatsanwaltschaft eine Antwort möchte, ist, warum das Finanzministerium die Strafe zahlte, ohne noch einmal von Juristen prüfen zu lassen oder zumindest Ratenzahlung zu fordern. Das Ministerium hat unbefriedigende Antworten gegeben. So hieß es, »das ist unüblich« oder »wir hatten für eine Prüfung keine Kapazitäten frei«. Fakt ist aber, dass sich der Finanzminister nicht als Nebenkläger und noch nicht einmal als »geschädigt« gemeldet hat. Stattdessen treten Verbraucherorganisationen als Nebenkläger und als Geschädigte etwa die Italienische Bank und die Börsenaufsicht auf.

Angeklagt sind neben den Ratingagenturen der ehemalige Präsident von S&P, der Europaverantwortliche sowie die drei Analysten, die den Italien-Report ausgearbeitet hatten. Alle weisen die Anschuldigungen zurück und fechten die Zuständigkeit des Gerichtes an, da die vermeintliche Straftat von Nicht-Italienern außerhalb Italiens verübt wurde.

Die Liste der namhaften Zeugen ist lang. Darunter Mario Draghi, derzeit Chef der Europäischen Zentralbank und Generaldirektor des Finanzministeriums, als Italien den umstrittenen Vertrag mit Morgan Stanley unterzeichnete, der einem regelrechten Kredit gleichkam, um die klammen Staatsfinanzen aufzubessern.

Als Zeuge wurde bereits Mario Monti, ehemaliger italienischer Regierungschef und EU-Kommissar vernommen. 2011 hatte er die Herunterstufung als »Angriff auf Europa« bezeichnet. Jetzt räumt er ein, dass er weder damals noch heute in der Lage war und ist, zu sagen, ob das damalige Urteil begründet war. Er erinnere sich auch nicht daran, ob er es gewesen sei, der angeordnet hatte, die 2,5 Milliarden Euro an die Geschäftsbank Morgan Stanley auszuzahlen. In Italien weiß niemand zu sagen, wie (und wann) der Prozess ausgehen wird. Auf jeden Fall wirft er aber einmal mehr ein Licht auf die dubiosen Praktiken der Ratingagenturen.

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