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Pantomime gegen laute Clubgänger

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will »stadtverträglichen Tourismus« befördern

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Vom Museum in den Club: Berlin zieht Touristen an.
Vom Museum in den Club: Berlin zieht Touristen an.

Ab Mai sollen Pantomime gemeinsam mit Mediatoren zunächst an 15 Wochenenden unterwegs sein, um die Nachtschwärmer für die Belange der Anwohner zu sensibilisieren. »Stadtverträglicher Tourismus – Internationale Erfahrungen im Vergleich mit Berlin und Best Practice in Friedrichshain-Kreuzberg« lautet der sperrige Titel des Programms, zu dem sich Bezirk, Tourismuswerber, Hotel- und Gaststättenverband und Clubcommission zusammengefunden haben. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt sich mit den diversen nächtlichen Belästigungen, die der Touristenansturm auf die Hot Spots des Berliner Nachtlebens mit sich bringen: Lärm, Müll und wildes pinkeln. Letzteres bezeugt auch tagsüber der beißende Uringeruch im eigentlich recht lauschigen Laubengang der Oberbaumbrücke.

»Wir versuchen touristisch keine Disneyworld aus Berlin zu machen, die Akzeptanz der Bevölkerung wird mit den zunehmenden Touristenzahlen jedoch eine Herausforderung«, sagt Lutz Leichsenring von der Clubcommission, dem Interessenverband der Berliner Clubbetreiber. Nach dem Rekordjahr 2014 mit fast zwölf Millionen Gästen und 29 Millionen Übernachtungen (plus 4,8 und plus 6,5 Prozent) waren im Januar dieses Jahres mit 740 000 Gästen wieder 5,2 Prozent mehr Touristen als im Vorjahresmonat in der Stadt.
Vor dem Entschluss, es mit Pantomimen zu versuchen, verschaffte sich der Zusammenschluss einen Überblick in anderen Städten. 37 Maßnahmen aus 21 Städten in elf Ländern wurden untersucht. »Dabei wollten wir uns auf einen berlinerischen Lösungsweg begeben; nicht restriktiv, sondern spielerisch«, sagt Malena Medam von der Clubcommission. Der gewählte Ansatz schien im Vergleich am Erfolgversprechendsten, zumal das Pilotprojekt nur über zwei Monate läuft. Es erinnert etwas an die Hygienespiele, mit denen in früheren Kriegen die Soldaten auf recht plumpe Weise für die Gefahren von Geschlechtskrankheiten im Felde sensibilisiert worden sind – mit mäßigem Erfolg.

»Es sind nicht die Wundertropfen, die wir hineinträufeln und alles wird ruhig. Aber es ist ein Anfang«, betont auch gleich Tourismuswerber Burkhard Kieker von visitberlin. Allerdings hätte eine Straßenumfrage in Kreuzberg ergeben, dass rund 60 Prozent der Nachtschwärmer aus Berlin stammten.
Wirtschafts- und Ordnungsstadtrat Peter Beckers (SPD) ist »froh über die wirtschaftlichen Wirkungen der Besucher auch aus Spandau und Königs Wusterhausen.« Vom Senat fühlt er sich bei den nicht nur positiven Konsequenzen nicht ausreichend unterstützt. Im Bezirksamt und der Bezirksverordnetenversammlung werden längerfristige Maßnahmen diskutiert. Nach dem Vorbild des Kreuzberger Graefekiezes, in dem keine neuen Gastronomiebetriebe mehr genehmigt werden, kündigt er Ähnliches für den Wrangelkiez am Schlesischen Tor an.

»Eine langfristige und sehr gute Maßnahme gibt es in Paris. Dort wurden Jugendliche aus den Banlieues von der Verwaltung zu Mediatoren ausgebildet und angestellt«, berichtet Stefanie Raab von coopolis. Sie ist Autorin der dem Projekt zugrundeliegenden Studie. Bleibt zu hoffen, dass auch der Senat sich der Sache annimmt und nicht wie so oft auf die Leidensfähigkeit der Berliner setzt. »Der Bezirk hat kein Geld«, sagt Peter Beckers.

Im vergangenen August schlug die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) vor, dass die bei Touristen so beliebten Rollkoffer doch mit Gummirollen ausgerüstet werden mögen, um den Lärm zu reduzieren. Außer Spott hatte dieser Vorschlag keine Konsequenzen.

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