Mr. Nein

Der Berliner Andreas Fischer tritt serienweise bei Bürgermeisterwahlen im Süden an. Von Velten Schäfer

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonntag ist Bürgermeisterwahl in Zell am Harmersbach, dem »Städtle in der Ferienregion Brandenkopf«, wie es die Eigenwerbung formuliert. Das ist im Schwarzwald, weiß Andreas Fischer. Sonst, das gibt er gerne zu, ist ihm nicht viel über den Ort bekannt. Vielleicht kenne er Zell und sei schon mal da gewesen, vielleicht aber auch nicht, setzte er jüngst einem verdutzten badischen Lokaljournalisten auseinander. Detailkenntnis ist auch gar nicht nötig, denn er will dort ja nicht etwa Bürgermeister werden. Ungewöhnlich ist freilich, dass der 38-Jährige aus Berlin zu diesem Zweck bei der Wahl im fernen Schwarzwald kandidiert. Richtig: Er kandidiert, um nicht ins Amt zu kommen. Sollte er tatsächlich gewählt werden, würde er das Amt ablehnen.

Was absurd klingt, ist für Fischer ganz normal. Mehr als 50 Mal ist er in den vergangenen zwei Jahren schon bei Bürgermeisterwahlen angetreten, in der Regel in Baden-Württemberg. Oft rangiert er im mikroskopischen Bereich, zuweilen erzielt er aber auch Erfolge. Etwa 2013 in Jagstzell auf der Ostalb, wo er auf immerhin 18 Prozent kam. Auch im laufenden Jahr war Fischer schon erfolgreich: In Maselheim etwa wurde am 1. März der Bürgermeister bestätigt; Fischer erreichte zehn Prozent. Erst Anfang Februar wählten ihn 16 Prozent der Stimmbürger von Hochdorf im Kreis Biberach. Zum Amtsträger hatte es außer ihm keinen Gegenkandidaten gegeben.

Das sind, sagt Fischer, der sich als »Lebensmittelretter« vorstellt, persönlich aber im Hintergrund bleiben möchte, Konstellationen, die ihn besonders reizen: Wahlen, bei denen es buchstäblich keine Wahl gibt. Am Ende heißt es dann gewöhnlich, der Alleinkandidat habe ein überzeugendes Ergebnis eingefahren, 80 oder 90 Prozent; dabei haben bei Berücksichtigung der Nicht- und Ungültigwähler vielleicht 20 Prozent für den Betreffenden gestimmt.

Diese Diskrepanz wollen Fischer und Gleichgesinnte sichtbar machen, indem sie als Repräsentanten der »Nein-Partei« - Fischer spricht lieber von der »Nein-Idee« - auftreten. Unser Wahlsystem, erklärt er, »zählt nur die Ja-Stimmen«, also diejenigen, die zur Wahl gehen und sich für einen Kandidaten entscheiden. Die Nein-Partei, die seit 2012 existiert und bundesweit mehrere Dutzend Mitglieder hat, wolle zeigen, wie viele grundsätzlich nicht damit zufrieden sind, wie die Dinge laufen. »Es geht darum, mitgezählt zu werden, den Kuchen der Macht im Sinne der Ja-Stimmen zu verkleinern«, sagt er.

Fischer selbst war mal bei den Grünen aktiv, in seinem Viertel Berlin-Lankwitz sogar im Vorstand. Dort habe er festgestellt, »dass ich diskutieren konnte, wie ich wollte, aber ohnehin alles immer seinen Gang ging«. Desillusioniert habe er sich zurückgezogen - und sei irgendwann auf die Nein-Idee gestoßen. Jetzt ist er Berliner Landesvorsitzender, wobei die Partei hier kaum Mitglieder hat.

Nach seinem Verständnis des Nein kommt es zunächst gar nicht darauf an, irgendetwas gestalten zu wollen: »Wir sagen das Nein nicht konkret«, erklärt Fischer. Ob sich die Nein-Partei bei einer positiven »Inhaltsfindung« auf einen Nenner bringen lasse, sei alles andere als ausgemacht. Themen wie ein Grundeinkommen würden »heiß diskutiert«. Doch zuerst gehe es allein darum, »Opposition« auszudrücken.

Dennoch gibt es eine Grundausrichtung: gegen Zwangsmaßnahmen aller Art, für Selbstbestimmung und Basisdemokratie. Sollte die Nein-Partei in einen Landtag oder den Bundestag gewählt werden, würden ihre Vertreter zu allem Nein sagen - außer zu Vorschlägen, die darauf abzielen, die Menschen selbst entscheiden zu lassen. Insofern würden Nein-Vertreter Mandate annehmen, während sie Ämter ablehnen.

So weit ist es freilich noch nicht. Zunächst muss die Idee bekannter werden - wozu sich Baden-Württemberg besonders eignet. Dort müssen Bürgermeisterkandidaten keine Unterstützerunterschriften vorlegen, wenn der Ort weniger als 20 000 Einwohner hat. Da es zudem eine zentrale Ausschreibung gibt, »bekommt man das immer mit«, sagt Fischer. Er oder ein anderer aus der Riege füllt die Formulare dann aus.

Daher müssen die properen Städtchen im Südwesten weiter als Übungsterrain herhalten. Anfangs nur belächelt, machen die Nein-Kandidaten inzwischen so manchen Platzhirsch nervös. Etwa in Hohentengen am Hochrhein: Dort hat sich neben dem Bürgermeister, der schon zweimal ohne Gegenkandidaten bestätigt wurde, auch ein Nein-Vertreter für die Wahl am 22. März gemeldet. In letzter Sekunde kandidierte dann auch eine junge Frau, die in der Verwaltung ausgebildet wurde und vor ihrem Mutterschutz in den örtlichen Gemeindewerken arbeitete - auf Ermutigung des Amtsträgers, um die Gegenstimmen zu spalten, argwöhnt Fischer. Der Bürgermeister nennt die Kandidatur seiner früheren Auszubildenden »unerwartet«. Beweisen lässt sich Gegenteiliges nicht.

Die Nein-Sager aber finden diese Situation seltsam genug, um sich für etwas Neues motiviert zu fühlen: Wahlkampf. Kurz vor dem Urnengang laden sie die Hohentengener zu einer partizipativen Internetradiosendung auf der Plattform »okitalk.com« ein. Dafür wurde in lokalen Zeitungsanzeigen geworben - finanziert von genervten Bürgern.

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