Geschichte aus der Opfersicht ist unerwünscht

Der ehemalige Vorsitzender der peruanischen Wahrheitskommission über »kontrollierte Geschichtsschreibung«

  • Lesedauer: 3 Min.
Salomón Lerner Febres (70) ist ehemaliger Rektor der Katholischen Universität von Lima und war Vorsitzender der Wahrheitskommission. Diese legte 2003 ihren Bericht über den peruanischen Bürgerkrieg mit fast 70 000 Todesopfern vor und gab dabei zahlreiche Empfehlungen für den Umgang mit der Vergangenheit ab. Ihre Arbeit und Schlussfolgerungen trafen jedoch auch auf massiven Widerstand. Mit Salomón Lerner Febres sprach für »nd« Knut Henkel.

nd: Im Juni 2014 eröffnete das Auditorium des »Ortes der Erinnerung«. Um das dazugehörige Museum LUM, das eine Ausstellung über den blutigen Bürgerkrieg zwischen der Guerilla des leuchtenden Pfades und der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru auf der einen und den staatlichen Ordnungskräften auf der anderen Seite beherbergen soll, hat es viel politische Konflikte gegeben. Warum?
Salomón Lerner Febres: Der Grund ist einfach: Mehrere Personen, die zumindest moralisch für die Verbrechen mitverantwortlich sind, agieren auf der politischen Bühne. Zu Ihnen gehört Ex-Präsident Alan García, der von 1985 bis 1990 regierte, danach folgte Alberto Fujimori, der bis heute viele Anhänger hat. Auch die Acción Popular, die von 1980 bis 1985 regierte, ist nicht frei von Verantwortung. Natürlich sind die Militärs genauso wie Richter und Staatsanwälte, die viele Verbrechen deckten, ebenfalls beteiligt und mitverantwortlich. Wir brauchen in Peru mehr Mut zur Aufklärung - da gibt es massive Defizite.

Das monieren Sie unermüdlich und ohne Ihren Einsatz wäre es wohl nie dazu gekommen, dass der Ort der Erinnerung, das LUM gebaut wurde. Ihnen hat Peru letztlich das Geschenk der deutschen Regierung zu verdanken ...
Das müssen andere beurteilen, aber dieses Geschenk war leider nie richtig willkommen. Anfangs wollte die peruanische Regierung das Geschenk nicht annehmen. Dann hat sich Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, empört zu Wort gemeldet, dass man ein Haus für die Ausstellung »Yuyanapaq«, eine Fotoausstellung mit rund 50 Bildern aus der Bürgerkriegszeit, nicht ablehnen könne und da ist der damalige Präsident Alan García eingeknickt.

Heute ist die Situation aber eine andere: Nun gibt es das Museum, aber keinen Platz für die Ausstellung, für die es ja eigentlich gebaut wurde. Warum ist denn kein Platz?
Ich bin letztlich nicht mehr in die Ausstellungskonzeption involviert, denn ich habe die Kommission im Streit verlassen. Allerdings heißt es, dass es noch in diesem Jahr eine Ausstellung geben soll und das LUM noch ganz offiziell eingeweiht werden soll. Was unsere Fotoausstellung angeht, habe ich letztes Jahr im Sommer über die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit erfahren, dass es keinen Platz für die Ausstellung geben wird. Es sei zu klein, heißt es. Das ist die Situation. Es ist ausgesprochen peinlich für mein Land, ein Haus für eine Ausstellung geschenkt zu bekommen und das Haus dann umzuwidmen. Aber was soll ich dazu noch sagen?

Was steckt dahinter? Geht es um die Kontrolle der Geschichtsschreibung?
Natürlich stimmt es, dass der Bau nicht genug Platz für eine historische Ausstellung und die Yuyanapaq-Fotoschau bietet, aber der eigentliche Grund ist, dass man in Peru eine kontrollierte Geschichtsschreibung aus Perspektive der Militärs und der Politiker, jedoch nicht der der Opfer haben möchte. Es scheint, dass man die Geschichte dieses brutalen, menschenverachtenden Krieges unter den Teppich kehren will. Eine Geschichtsschreibung aus Sicht der Opfer ist nicht erwünscht und in diesem Kontext wurde auch der Name des Museums geändert. Was als »Museum der Erinnerung« initiiert wurde, ist heute zu einem »Ort der Erinnerung, Toleranz und sozialen Inklusion« geworden.

Warum ist dabei von sozialer Inklusion oder Teilhabe die Rede?
Ich weiß es nicht, ich habe der Kommission zur Planung und Konzeptionierung des Museums 2011 den Rücken gekehrt, weil es schlicht keinen Sinn hatte in dieser Konstellation zu arbeiten. Ein wenig später hat denn auch der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa die Kommission verlassen. Damals hatte Alan García Anstalten gemacht, ein Amnestiegesetz für alle Bürgerkriegsverbrechen oder besser für Verbrechen des Staates vorzubereiten. Dagegen hat Mario Vargas Llosa protestiert. Wenig später kamen dann die Wahlen, aus denen Ollanta Humala als Sieger hervorging und folglich in den Präsidentenpalast einzog.

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