Fespaco trotzt Ebola und Terrorgefahr

Kino in Afrika hat seine eigenen Regeln, wie das große Film-Festival in Ouagadougou gerade wieder gezeigt hat. Text und Fotos von Stefan Lombé

  • Stefan Lombé
  • Lesedauer: 6 Min.

Alle zwei Jahre pilgert das afrikanische Kino für eine Woche nach Ouagadougou. Dann findet in der Hauptstadt von Burkina Faso die Fespaco statt, das große »Panafrikanische Festival für Film und Fernsehen von Ouagadougou«. Es ist das älteste und immer noch bedeutendste Festival des afrikanischen Kinos. Der Hauptpreis, der goldene Hengst der Prinzessin Yennenga, gilt als höchste Auszeichnung, die der afrikanische Kontinent einem Film verleiht. Anfang des Monats hat die 24. Fespaco stattgefunden.

720 Filme wollten dabei sein, 134 ließ die Jury zu. 20 liefen im Spielfilm-Wettbewerb. Dort, wo es den goldenen Hengst zu gewinnen gibt.

Dass der Preis dieses Jahr überhaupt vergeben wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Wegen der Ebola-Gefahr in Westafrika waren in Burkina Faso schon mehrere internationale Großveranstaltungen abgesagt worden, obwohl das Land von der Seuche selbst nicht befallen ist. Zudem führten Ende Oktober Massenproteste zum Sturz des langjährigen Präsidenten Blaise Compaoré. Die unsichere politische Lage setzt der Wirtschaft arg zu. Das Festhalten am Filmfestival wurde von vielen Burkinern erleichtert wie ein Zeichen der Normalität aufgefasst.

Doch eine Woche vor dem Start sorgte eine Meldung aus Frankreich für neue Unruhe. Timbuktu, der Film des mauretanischen Regisseurs Abderrahmane Sissako, räumte beim französischen Filmpreis ab. Gleich sieben Césars gewann der Film, darunter auch den César für den besten Film des Jahres. Eine Premiere für eine afrikanische Kinoproduktion. Timbuktu avancierte dadurch zum natürlichen Topfavoriten auf den goldenen Hengst. Denn in Ouagadougou sollte der Film im Wettbewerb laufen.

Die neue Aufmersamkeit führte zu Problemen. Zeitungen in Burkina Faso berichteten, dass Timbuktu wahrscheinlich aus dem Fespaco-Programm gestrichen werde. Nicht, um die verloren geglaubte Spannung wiederherzustellen. Sondern aus Angst vor Attentaten. Der Film geht kritisch mit der Eroberung Timbuktus, eine Stadt im Norden von Burkinas Nachbarland Mali, durch fanatische Islamisten um. Sollte man den Film wegen Terrorgefahr lieber nicht zeigen? Burkinas Übergangspräsident höchstpersönlich schaltete sich ein und entschied: Der Film bleibt im Programm.

Und so konnte die 24. Fespaco starten. Mit rotem Teppich wie in Berlin und Cannes, mit Stars und Sternchen, die in Europa kaum jemand kennt, mit rund 3000 Gästen aus dem Ausland, darunter auch mehrere Dutzend »weiße« Journalisten, die vor allem für französischsprachige Medien arbeiteten. Denn obwohl sich die Fespaco zurecht als panafrikanisches Festival bezeichnet - die Filme kamen aus dem ganzen Kontinent, von Südafrika bis Tunesien, vom Senegal bis Äthiopien, Gastland war Ägypten - liegt der Schwerpunkt auf französischsprachigen Filmen des französisch geprägten Autorenkinos. Weshalb vor allem frankophone Kinoliebhaber auf ihre Kosten kommen.

Das liegt an der Geschichte des Festivals und überhaupt des afrikanischen Films. Während der Kolonialzeit, also bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, gab es außer in Südafrika keine Filmindustrie auf dem Kontinent. Die Franzosen verboten es Afrikanern sogar, Filme in ihren Ländern zu drehen. Der erste Kurzfilm, der als afrikanisch gilt - »L’Afrique sur Seine« (deutsch: Afrika an der Seine) -, wurde 1954 deshalb in Paris gedreht. Erst nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten entstanden dort Filme. Als Vater des afrikanischen Films gilt der Senegalese Ousmane Sembène. Er drehte 1966 den Film »La Noire de…« (deutsch: Die Schwarze aus…), der teilweise in Frankreich, teilweise in Dakar spielt. 1969 wurde die Fespaco im Französischen Kulturinstitut von Ouagadougou gegründet. Das heutige Institut Français stellte während der Fespaco erneut zwei Säle als Vorführräume zur Verfügung, die französische Botschaft unterstützte wieder einmal das Festival.

Doch das afrikanische Kino ist mehr als nur eine eigenständige Fortentwicklung des französischen Autorenkinos der 1950er Jahre. Sind während der Fespaco immerhin ein paar englisch- und portugiesischsprachige Filme mit eigenen Wurzeln zu sehen, blendet das Festival die Gattung der populären Filme komplett aus. Aber genau diese Filme sind es, die die Afrikaner in die Kinos locken. In Nigeria gibt es seit den 1990er Jahren eine regelrechte Massenproduktion solcher Filme. In Anlehnung an das US-amerikanische Hollywood wird die nigerianische Filmproduktion auch Nollywood genannt. Nigeria produziert mittlerweile mehr Filme im Jahr als die USA - in der Regel zwischen 1000 und 2000. Nur in Indien werden noch mehr Filme gedreht. Nollywood heißt seit 2012 auch ein französischsprachiger Fernsehkanal, der die nigerianischen Produktionen dem frankophonen Publikum auf Französisch anbietet. Die Nollywood-Filme sind teilweise im Internet abrufbar. Ihr Erfolg in Afrika ist enorm.

»Das Niveau dieser Filme ist meist mäßig«, sagt Jean-Claude Hellequin, französischer Geschäftsführer von Topka Films im Benin. »Aber diese Filme bieten alles, was die breite Masse sehen will: eine Geschichte mit ein bisschen Magie, ein bisschen Betrügen des Ehepartners und Verrat an der eigenen Familie.« Solche vorhersehbaren Dramaturgien sind der Fespaco zu oberflächlich. Wie in Berlin und Cannes soll in Ouagadougou Qualitäts-Kino gezeigt werden.

Das ist für den europäischen Zuschauer gewöhnungsbedürftig. Afrikanische Filme sind in der Regel anders als westliche Filme. Langsamer, ruhiger, stiller. Tradition spielt fast immer eine Rolle. Selbst die Qualitätsfilme würzen ihre Geschichten gerne mit etwas Übernatürlichem. Die Handlung wird viel häufiger als im europäischen Film von einem Erzähler begleitet. Der Anspruch an ausgereifte Technik ist nicht hoch, wie der diesjährige Fespaco-Beitrag »Cellule 512« (deutsch: Zelle 512) verdeutlicht: Für deutsche Augen kamen Bilder, Schnitt und Dialoge nicht über das Niveau einer mittelmäßigen TV-Soap hinaus. Die lokale Filmkritik hingegen war begeistert und sah Cellule 512 als Mit-Favorit für den goldenen Hengst.

»Der afrikanische Film ist aus dem Theater hervorgegangen, die westeuropäischen und amerikanischen Filme aus dem Stummfilm à la Charlie Chaplin«, versucht der Franzose Stéphane Brabant von der Produktionsfirma Afrikafun diese Unterschiede zu erklären. »Jeder Kinofilm entsteht auf einem historischen Hintergrund, in einer politischen Situation, spricht eine soziale Wirklichkeit an und hängt von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab« sagt Alex Moussa Sawadogo, Direktor des Berliner Festivals Afrikamera. Dies alles sei in Afrika grundsätzlich anders als in Europa. Weshalb die afrikanischen Filme oft schwierig für Europäer zu verstehen seien.

Für die Vermarktung afrikanischer Filme außerhalb des eigenen Kontinents ist das nicht hilfreich. Selten kommen afrikanische Filme in europäische Kinos, reicht es für einen Preis bei einem internationalen Festival, wird gar ein afrikanischer Film zum Kassenschlager. Timbuktu ist eine Ausnahme. Knapp eine Millionen Menschen lockte er in Frankreich in die Kinos. Auch in Ouagadougou waren die beiden Vorstellungen restlos ausverkauft, wurde der Film auch vom Fespaco-Publikum begeistert empfangen. Eine Stunde, bevor das Licht im Saal ausging, tanzten die Zuschauer zu Live-Musik auf der Bühne vor der Leinwand - ein bewusster Protest der Festivalleitung und des Publikums zu dem Musik- und Tanzverbot, das die Islamisten im Film und über Timbuktu verhängen. Während der Vorführung wurde das Gezeigte laut kommentiert, gab es Buhrufe für die Islamisten, Applaus bei Szenen des Widerstandes. Ein typisches Verhalten der einheimischen Kinobesucher - auch das für den Europäer befremdlich.

Und dieses Staunen über die anderen Ansprüche der Afrikaner an ihr Kino hielt bis zum Ende der Fespaco an. Der goldene Hengst ging nämlich nicht wie lange von allen erwartet an Timbuktu, sondern an den marokkanischen Film »Fièvres« (deutsch: Fieber), der die Identitätssuche eines Jungen mit nordafrikanischen Wurzeln in den Pariser Vororten thematisiert. Timbuktu musste sich mit den Preisen für die beste Musik und die besten Filmkulissen zufriedengeben.

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