SWF statt ÖPP

Der Berliner Ökonomieprofessor Giacomo Corneo plädiert für einen Sozialismus via Aktienmarkt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zehn Jahren, sagt Gustav A. Horn, habe auch er Fragen der Verteilung für wenig interessant gehalten. Das hat sich geändert - nicht erst, seit Thomas Piketty mit seinen Thesen über Ungleichheit hervorgetreten ist. Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung, hat 2011 einen ähnlichen Titel vorgelegt. Doch da in Wirtschaftsdiskursen dicke Bretter zu bohren sind, stand auch das IMK-Forum 2015 am Donnerstagabend in Berlin unter dem Motto »Wirtschaftspolitik in Zeiten der Ungleichheit«.

Dabei entwickelte Ulrich Thielemann vom Institut »Menschliche Marktwirtschaft« eine wirtschaftsethische Kritik der Legitimationsrhetoriken von Ungleichheit. Diether Döring, Emeritus der Uni Frankfurt am Main, arbeitete am Beispiel des Rentensystems unter anderem heraus, warum sich Ungleichheit in Deutschland in Zukunft noch verstärken wird: Dessen auf die 1950er zurückgehende Architektur ist auf eine steigende Lohnquote, Vollbeschäftigung und ein kraftvolles Tarifsystem ausgerichtet, wovon kaum noch die Rede sein kann. So ergebe sich eine »in der OECD einzigartige Härte« gegenüber Geringverdienern, selbst des Kaisers System war großzügiger. Und Horn unterstrich, was 2014 sogar die Ratingagentur Standard & Poor’s in einer Studie anerkannte: dass nämlich Ungleichheit Wachstum nicht stimuliert, sondern bremst - sowie destabilisierende Extreme in Handelsbilanzen fördert.

Am intensivsten diskutierten die gewerkschaftsnahen Ökonomen freilich die Gegenstrategie von Giacomo Corneo, Professor für Öffentliche Finanzen an der Freien Universität Berlin. Ihm ging es weniger um die Primärverteilung durch Kollektivverträge als um die Sekundärverteilung durch öffentliche Hände. Corneo ging von Pikettys Formel »r>g« aus, also von der These, dass Marktsysteme privaten Reichtum schneller wachsen lassen als die Wirtschaft und so steigende Ungleichheit produzierten. Dagegen empfiehlt Piketty eine Steuerpolitik, die auf »r=g« hinarbeite und so die Schere zwischen Kapital- und Lohneinkommen mildere.

Auch Corneo ist für eine mutige Steuerpolitik; es müsse nicht nur ernst gemacht werden mit der Schließung von Steueroasen, nötig sei auch eine »echte europäische Körperschaftsteuer« und eine Erbschaftsteuer ohne Ausnahme für Betriebsvermögen. Erforderlich seien ferner Anpassungen der Grund- und der Abgeltungsteuer.

Doch lasse sich, so Corneo, solcherart »r=g« nicht realisieren, seien dazu doch kaum durchsetzbare Steuersätze von 80 Prozent und mehr nötig. Insofern, so sein 2014 in dem Buch »Bessere Welt« ausgearbeiteter Vorschlag, müssten neue Wege gefunden werden: Anstatt in »Öffentlich-Privaten Partnerschaften« (ÖPP) das Kapital in Felder wie Daseinsvorsorge hineinzulassen, solle der Staat den Spieß umdrehen und sich als »kollektiver Rentier« massiv auf den Aktienmärkten betätigen – bis hin zu Mehrheitsbeteiligungen. Die Renditen wären dann »Sozialdividende«.

Solche als »Souvereign Wealth Funds« (SWF) bekannten Staatsfondsmodelle gibt es längst, in Ölstaaten von Norwegen bis an den Persischen Golf sind sie erfolgreich. Warum aber sollte eine solche Politik öffentlichen Reichtums woanders nicht möglich sein? Gerade Deutschland, so Corneo, könnte mit Leichtigkeit die entsprechenden Kredite aufnehmen; eine Tilgung aus Renditen sei »innerhalb von 15 Jahren« realistisch. Auch mit den Maastricht-Defizitkriterien sieht der Ökonom keine Kollisionsgefahr, da solche Investitionen vermögensneutral wären.

Ist das naiv? Natürlich, so Corneo in der Diskussion, kommt es ganz auf die Gestaltung eines solchen »Bundesaktionärs« (BA) an. Auch als Italiener, der schon viele scheiternde Staatsunternehmen gesehen habe, empfehle er eine unabhängige Struktur wie bei der Bundesbank. Der BA solle auf Rendite achten, ethische Ziele seien per Gesetz zu verfolgen. Es gebe aber keinen Grund, wieso privat geführte Vorstände effektiver sein sollten. Schließlich gebe es da auch viel Ineffizienz und Selbstbedienungsmentalität.

Das alles erinnert ein wenig an Joseph A. Schumpeter. Der 1950 in den USA verstorbene österreichische Ökonom schrieb 1942, der Kapitalismus tendiere in den nächsten 50 Jahren von selbst zum Sozialismus, da er Unternehmertum durch Leitungsarbeit ersetze, in eine Stagnation mit konsequenter Legitimationskrise geraten werde – und zugleich Intellektuelle produziere, die sich dieser Probleme dann annähmen.

Corneo hat Schumpeter im Vortrag nicht erwähnt. Aber vielleicht ist er ja einer dieser Intellektuellen.

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