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55 Euro für den Klimaschutz

Die Strommarkt-Eckpunkte von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel greifen zu kurz

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Strom aus Erdgas ist weniger klimaschädlich als der aus Kohle. Doch Gas rechnet sich nicht, weil die Emissionszertifikate zu billig sind.

Der heutige Donnerstag hätte für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) voll im Zeichen der Energiewende stehen können: um neun Uhr zusammen mit seinem Parteikollegen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigem Amt den ersten globalen Energiewendedialog eröffnen und dann zur Koalitionsklausur, um noch mal über selbiges Thema zu reden. Doch letzteres hat die Unionsfraktion im Bundestag kurzfristig abgesagt.

Dabei muss die Bundesregierung dringend etwas tun, will sie ihr selbstgestecktes Ziel erreichen, die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu senken. Dies ist das Ergebnis einer dem »neuen deutschland« vorliegende Metaanalyse, die die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) kommende Woche veröffentlicht. Dabei verglich die AEE 17 Prognosen zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland, die in elf Studien zwischen 2011 und 2014 veröffentlicht wurden.

Demnach müsste Deutschland, um seine Klimaziele zu erreichen, die Treibhausgasemissionen von derzeit 953 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten auf 750 Millionen Tonnen im Jahr 2020 senken. Realistisch sind derzeit jedoch nur 800 bis 860 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Selbst die Bundesregierung geht beim jetzigen Stand der Dinge von einer Reduktion um lediglich 33 bis 34 Prozent aus, weshalb sie im Dezember das »Nationale Aktionsprogramm Klimaschutz« verabschiedet hat.

Ein Schritt in die richtige Richtung könnte sein, was Ende vergangene Woche aus dem Hause Gabriel öffentlich wurde. In einem Eckpunktepapier schlägt der Wirtschaftsminister neben der Schaffung eines neuen Strommarktes sowie der gedeckelten Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung eine Klimaabgabe für ältere Kohlekraftwerke vor. Anlagen, die älter als 20 Jahre sind, sollen Emissionsrechte kaufen müssen. Ein Freibetrag sei so hoch angesetzt, »dass im Ergebnis 90 Prozent der fossilen Stromerzeigung den Klimabeitrag nicht leisten müssen«, heißt es in dem Papier. Gabriel will damit bei den 500 Kohlekraftwerken hierzulande 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.

Für AEE-Geschäftsführer Philipp Vohrer setzt dieser Vorschlag an der richtigen Stelle an, »denn die alten, unflexiblen Kohlekraftwerke sind nicht nur die größten CO2-Emittenten, sondern blockieren auch den weiteren Fortschritt der Energiewende«. So verursachte die Braunkohle im Jahr 2011 durchschnittlich 1169 Gramm CO2-Emissionen pro Kilowatstunde erzeugten Stroms. Bei der Steinkohle waren es 892 Gramm und beim Erdgas 388. Erneuerbare Energiequellen produzieren natürlich keinerlei Treibhausgase bei der Stromgewinnung. »Die CO2-Abgabe für Kohlemeiler wäre akzeptabel, falls sie funktionieren würde«, meint auch die energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Eva Bulling-Schröter. Sie bezweifelt jedoch, dass »so die ältesten und schmutzigsten Kohlekraftwerke auch wirklich vom Netz gehen«. Und noch immer seien neue Kohlekraftwerke in Planung.

Zudem reichen Vohrer zufolge die von Gabriel angestrebten Einsparungen nicht aus, um die Lücke bei der Erreichung des Minderungsziels zu schließen. »Weitere Maßnahmen wie die Reform des Emissionshandels, der zügige Ausbau erneuerbarer Energien insbesondere im Wärmemarkt und im Verkehr müssen nun konkret angegangen werden«, fordert der AEE-Geschäftsführer deshalb. Zum Beispiel liegt der Preis für Emissionszertifikate derzeit bei sechs Euro pro Tonne. Damit es sich aber überhaupt rechnet, von Kohle- auf relativ klimafreundliche Gaskraftwerke umzusteigen, müssten die Zertifikate mindestens 55 Euro pro Tonne kosten.

Beim Koalitionspartner kommt Gabriels Plan indes nicht gut an. Dieser vertagte deswegen nicht nur die Koalitionsklausur. Union-Fraktionsvize Michael Kretschmer wettere etwa in der »Leipziger Volkszeitung«, Gabriels Energiepolitik nutze dem Klima gar nichts, »ruiniert aber den Wirtschaftsstandort Deutschland«. Auch aus der eigenen Partei erhält Gabriel Widerstand für seine Pläne. Nicht nur die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sondern auch SPD-Landespolitiker aus Sachsen und Brandenburg gingen bereits gegen ihren Parteichef in Stellung. Und in der brandenburgischen Lausitz ließ die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie die Braunkohle-Kumpel am Mittwoch gegen die Pläne Gabriels demonstrieren.

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