Ärzte skeptisch, Nutzer arglos

Kostenlose Gesundheits-Apps nützen vor allem den Datensammlern

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor Fehldiagnosen nach Apps warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am Dienstag in Bonn. Es gebe 87 000 Angebote für Fitness und Wellness sowie 55 000 medizinische Apps.

»Application Software«, kurz App, meint ein kleines Computerprogramm für genau umrissene Zwecke. Mit Hilfe von Adaptern können Blutdruck, Blutzucker oder Körpertemperatur gemessen werden. Zubehör samt App unterliegen dem Medizinproduktegesetz und sollten das staatliche Prüfsiegel CE tragen.

Zu den neuesten Anwendungen gehören auch produktgebundene Apps wie die eines großen Zahnputzgeräte-Herstellers, die als Zahnputz-Coach funktionieren soll. Das Versprechen (oder die Drohung?): Information zu jeder Putzeinheit werden gespeichert. Mit dem Zahnarzt könnte dann ein passgenauer Putzplan erstellt werden. Aber deutsche Ärzte tun sich schwer mit der Einbindung sogenannter E-Health-Anwendungen, zu denen auch Apps gezählt werden können. In einer aktuellen Analyse der EU-Kommission zur Umsetzung von IT-Anwendungen im Gesundheitsbereich schneidet Deutschland katastrophal ab. Über Apps entscheiden die Patienten allein. Ärzte spielen hier weder beratend noch empfehlend eine Rolle - trotz der häufig schon möglichen Auswertung der Daten durch ihre Berufsgruppe, nicht nur zur Frage der sauberen Zähne, sondern auch bei vielen Chronikerprogrammen, bei Diabetes- oder Schmerztagebüchern. Mediziner sind eher skeptisch gegenüber »unkontrolliert« erhobenen Daten - teils zu Recht. Denn viele Apps - wie zum Beispiel jene über Arzneimittelinformationen, Fitnessprogramme oder Schrittzähler - sind nicht reguliert. Indessen hat bereits jeder Fünfte Gesundheits-Apps auf seinem Smartphone installiert, Neigung zur Selbstdiagnose inclusive.

Novartis bietet eine Webseite unter dem Titel »Leben mit Brustkrebs« an, dort wird auch die Gratis-App »Aktiv trotz Brustkrebs« beworben, mit der Anwenderinnen Ausdauer, Kraft und Koordination schulen können, dazu kommen Aufgaben aus der Atemtherapie und zur Entspannung. Kleiner Haken: Novartis ist nicht nur Nummer zwei bei Krebsmedikamenten, das Unternehmen erhielt 2007 den Negativpreis Big Brother Award in der Kategorie »Arbeitswelt«. 2012 wurde bekannt, dass Novartis versuchte, bei Ärzten systematisch Patientendaten anzuzapfen. Eine nützliche, kostenlose App soll vermutlich bei den Patienten wieder Boden gut machen. Es könnte aber auch sein, dass Anwenderdaten gewinnbringend ausgewertet werden. Diese Frage ist für alle Apps zu stellen: Wer bekommt die Daten? Arglose Verbraucher stellen sie in vielen Bereichen gegen ein kostenloses Programm bereitwillig zur Verfügung. Mit entsprechend großen Datenmengen lassen sich aber Produkte optimieren, nicht nur Medikamente, sondern etwa auch Versicherungen. Jüngst warnten Verbraucherschützer vor sogenannten App-Tarifen. Hier sollten die gesammelten Fitnessdaten einen gesunden Lebensstil belohnen. Für die Überwachung und korrektes Verhalten gibt es dann Nachlässe bei der Beitragszahlung. Die neue Qualität für die Versicherer liegt darin, dass sie die auch früher schon erhobenen Daten nun permanent erhalten, in Echtzeit auswerten und sofort per Sanktion reagieren können. Kein Problem für wettbewerbsorientierte, fitte Freizeitsportler und Asketen, aber für alle anderen?

Während sich viele Nutzer noch damit beruhigen, dass sie die Apps jederzeit wieder ausschalten oder löschen können, arbeitet die Industrie weiter an der Nutzbarmachung der Daten. Apple etwa hat für den medizinischen Einsatz HealthKit entwickelt - über diese Schnittstelle sollen Daten von Smartphones mit den Computern und Geräten in Kliniken und anderswo abgeglichen werden. Zunächst wird hier auch Wert auf Sicherheit gelegt: Entwickler dürfen die Fitnessdaten zum Beispiel nicht in der Cloud speichern. Zugleich trat das Unternehmen mit HealthKit nicht nur an Firmen aus dem Gesundheits- und Fitnessbereich heran, sondern auch an große US-Versicherer.

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