Die Sucherin

Lisette Schürer fand keine Ruhe - bis sie die Kunst entdeckte, die zu ihr passt

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Denkt sie an die »Die Tochter des Ganovenkönigs«, dann am liebsten an die verschrumpelte Großmama. Die wurde im Rollstuhl mal in diese, mal in jene Ecke geschoben, weil man im Gaunerhaushalt meinte, sie bekäme nix mehr mit. Dabei bestimmte sie, plötzlich hellwach, den Ausgang des Geschehens. Die Bühnen- und Kostüm- und Puppenbildnerin Lisette Schürer schuf alle großen Puppen für das Stück unter Regie der Puppenspielkünstlerin Susanne Olbrich. Herrliche Typen. Auf dem Plakat abgebildet, konnte man die Konterfeis aller Verdächtigen, ihrer Personenschützer und der Ermittler mit nach Hause nehmen. Heute noch anzusehen sind sie auf der Website der Ateliergemeinschaft »Achtung Studio«, die drei heulende Wölfe als Markenzeichen trägt.

Am Standort im Kellergeschoss des Kunstquartiers Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz 2 heult aber keiner. Lediglich ein ausgestopfter Fuchs, den eine dort arbeitende Künstlerin im Müll fand und herausputzte, hält dort Wache. Zeitweilig unterstützt von Ingo, dem auf Reparatur wartenden Hasen aus den Stück »Sternthaler«. Lisette Schürer benutzt im Atelier einen eigenen kleinen Raum, während vier Künstlerkollegen sich einen größeren teilen. Das müsse so sein, sagt sie. Sie mache mitunter Geräusch, wirbele bei der Arbeit Staub auf.

Nichts davon zu sehen. Alles an seinem Platz, als warte Material begierig darauf, dass die Künstler mit neuen Ideen hereinkommen und loslegen. Lisette Schürer ist bei ihrem neuen Projekt über das »bisschen schwanger« hinaus. So nennt sie den Zustand, bei dem ihr die ersten Ideen zu einer neuen Aufgabe im Kopf herumschwirren, in der sie viel in Museen und Bibliotheken unterwegs ist. Nun steht schon das Modell des Bühnenbilds für »Der Geizige« nach Molière. Das Großformat wird im Juli den Hof des Puppentheaters Magdeburg verwandeln. Eine Produktion mit der Regisseurin Astrid Griesbach.

»Sie hat mich von Anfang an gefördert«, erzählt Schürer. Die Ausstattung für Rache am Stock in der Inszenierung »Der Besuch der alten Dame« unter Griesbachs Regie war Lisette Schürers Diplomarbeit. Studienabschluss, sicher, aber sie sagt, sie fühle sich immer am Lernen, sauge Erfahrungen geradezu auf.

Nach dem Abitur in einem kleinen vogtländischen Dorf musste sie erst einmal lernen, was sie eigentlich wollte. Ihre Suche begann zu einer Zeit, als alle am Suchen waren, ihre Arbeit verloren hatten, sich beruflich neu orientierten. 1978 geboren, sei sie eben ein Kind der Wendegeneration, meint die Künstlerin. Zunächst zog es sie nach Dresden, wo sie am Theater Junge Generation in der Theaterpädagogik arbeitete und »erste Ausflüge« ins Bühnenbild unternahm. Mit der Elbestadt verbindet sie heute noch der Kontakt zum Verein Buerger.Courage, der sich gegen Rechtsextremismus stark macht. Unterstützend erarbeitete sie bereits Installationen im öffentlichen Raum. Entscheidungen für und wider das Bauchgefühl, Versuche und Scheitern begleiteten Lisette Schürers Weg. Schauspielerin wollte sie zunächst werden, fühlte sich damals aber nicht am für sie richtigen Ort in der »Ernst-Busch«-Hochschule. Sie ging ab und entdeckte für sich nonverbales Körpertheater und Maskenspiel. Heute noch spielt sie in einem Stück vom »Theatre Fragile«, mit dem sie zu diesem Genre fand. Und sie springt mitunter ein. Das bedeutet, dass sie sich zu Hause in Prenzlauer Berg diszipliniert dafür körperlich beweglich halten muss - außer Fahrradfahren, Skilanglauf, Volleyball und Tanzen.

Wenn es ihre Zeit erlaube. Das sagt sie oft, macht deutlich, dass ihre Arbeit dominiert. Ihr Künstlerleben empfindet sie als Glück, obwohl es freiberuflich sicher nicht immer rosig ist. Das aber schiebt sie weg. Das gehöre eben dazu.

Am richtigen Ort fühlte sie sich nach einem Versuch in Theaterplastik erst beim Bühnenbildstudium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. »Hier konnte ich mich entwickeln. Es fiel mir am Ende schwer, wieder wegzugehen.«

Ihre Bühnenausstattungen - am liebsten durchgängig aus einem Material - sind immer etwas Besonderes. Sie erzählen die Geschichte mit, stützen sie, regen die Fantasie an. Gern möchte sie für eine Inszenierung alles machen - Bühnenbild, Kostüme und Puppen erfinden. Das ist natürlich oft zu viel, sagen eigene Erfahrungen an zahlreichen Theatern im deutschsprachigen Raum.

Ihr Terminkalender verweist aktuell außer auf die Arbeit für Magdeburg auf eine »Räuber«-Inszenierung zusammen mit einer Kollegin im Wiener Theaterhaus Dschungel. Auch die »Ernst-Busch«-Hochschule taucht wieder auf. Diesmal ist sie dort richtig, gibt Unterricht im Maskenspiel. Aber mit dem Suchen, meint sie, wird es wohl nie aufhören.

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