Er war poetisch, uneitel und umsichtig

Waltraud Engelberg über Otto von Bismarck als Mensch und Staatsmann - zum 200. Geburtstag des »Eisernen Kanzlers«

  • Lesedauer: 6 Min.

Ihr Mann Ernst Engelberg hat eine in Ost und West anerkannte Bismarck-Biografie verfasst. Wie kam es dazu, dass ein DDR-Historiker den »Eisernen Kanzler«, der als Reaktionär und Feind der Arbeiterbewegung angesehen wurde, aus der »Schmuddelecke« holen durfte?

Ernst stammte aus einer Familie, die ein entschiedener Gegner des ersten Reichskanzlers war. Sein Vater hat im Schwarzwalder Kinzigtal 1890 den sozialdemokratischen Wahlverein gegründet. Und Ernst hielt an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität beim Friedrich-Engels-Biografen Gustav Mayer ein Referat über »Die deutsche Sozialdemokratie und die Bismarcksche Sozialpolitik«. Das weitete er dann zur Dissertation aus.

Eine der letzten marxistischen Dissertationen, die eingereicht wurden, bevor Deutschland in die Nazibarbarei versank.

Ja, bei einem Juden eingereicht, der unmittelbar nach dem Machtantritt Hitlers aus dem Amt gejagt wurde.

Und der Kommunist Engelberg wurde vier Tage nach bestandener Promotion verhaftet und zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Entlassung emigrierte er. Es gab und gibt Stimmen, die Bismarck einen Wegbereiter Hitlers nennen.

Das ist totaler Unsinn! Es geht kein Weg von Bismarck zu Hitler, absolut nicht. Ernst bemerkte: »Die Sache mit Bismarck ist doch komplizierter und widersprüchlicher als ich ursprünglich dachte.« In der DDR beschloss er dann: »Ich will über Bismarck schreiben.« Das gab mächtigen Ärger. Man sagte ihm, er solle lieber über Bebel arbeiten. Er hat sich durchgekämpft.

Und Sie haben ihm geholfen.

Ich las ein Menge Sekundärliteratur und wurde immer wirrer. Es gab so viele konträre Meinungen über Bismarck. Ernst sagte: »Fange doch mal mit den Privatbriefen an.« Das habe ich getan.

Und Sie schrieben über den Privatmann Bismarck. War dieser ein ganz anderer Mensch als der mit »Eisen und Blut« regierende Politiker?

Er war anders als das öffentliche Bild von ihm. Überall in Deutschland stehen klobige Bismarck-Denkmäler, dabei war er eine poetisch angehauchte Natur. Er las Goethe, Schiller, Shakespeare, sogar Heine. Er bestand darauf, in seiner Muttersprache müsse man sich vollkommen auszudrücken verstehen, was allerdings nur wenigen gegeben sei. Daran muss ich denken, wenn ich unsere Politiker reden höre: Aufgaben stemmen, Maßnahmen vorantreiben, Verluste einfahren, durchstechen ... Alles Handwerkelei.

Sprache ist ein Ausweis des Denkens. Die heutige Politik demnach nur noch Flickschusterei?

Ja, in hohem Maße. Sie ist verarmt. Wie die Sprache. Es fehlt der Politik an strategischer Weitsicht und Aufrichtigkeit. Bismarck wollte als »ehrlicher Makler« gelten, als er bei der Beilegung des Balkankonfliktes vermittelte. Und ein andermal sagte er, selbst eine Kriegserklärung könne man höflich, nicht maliziös formulieren.

Naja, die Emser Depesche, die 1870 den Deutsch-Französischen Krieg entfachte, war boshaft ...

Von ihm berechnend redigiert.

Drei Kriege führte Bismarck, um Deutschland zu einigen. Er galt als Inkarnation des Obrigkeitsstaates und Militarismus, wurde posthum für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, verantwortlich gemacht.

Das war falsch. Nachdem das Reich gegründet war, versicherte Bismarck: »Wir sind satt.« Deutschland werde keine territorialen Forderungen mehr erheben. Er war gegen die Kolonialpolitik und sogar gegen die Annexion von Elsass-Lothringen. Als ein Land der Mitte müsse Deutschland versuchen, mit allen im Einvernehmen zu leben. Er strebte den Ausgleich an, betrieb eine behutsame, ausgewogene Bündnispolitik. Was er tat, war wohl überlegt. Blinden politischen Aktivismus hielt er für sehr gefährlich.

Könnte er als Vorbild heutiger Außenpolitik dienen?

Im gewissen Sinne. Er hat den Faden nach Russland gesponnen und Fäden nach Österreich, England und Frankreich geknüpft. Mit Umsicht und Vorsicht. Die Kriege der Nazis, vor allem den »Russlandfeldzug«, hätte er strikt verurteilt. An seinem Lebensabend äußerte er bezüglich der zukünftigen Entwicklung Befürchtungen, die sich mit denen von Engels deckten.

Bismarck, ein weiser Staatsmann?

Politik war für ihn eine Kunst, die Erfahrung und intensives Nachdenken erfordert. »Alle wichtigen politischen Entschlüsse habe ich im Walde gefasst.« Manchmal spazierte er fünf Stunden, im stillen Zwiegespräch mit den Bäumen, die er »die Ahnen« nannte, bis er mit sich im Reinen war, eine Entscheidung gefällt hatte. Heute sitzen Politiker achtzehn Stunden zusammen, palavern und verkünden sodann, zum Wohl der Völker entschieden zu haben. Es soll mir keiner erzählen, dass jemand so lange aufmerksam, voll konzentriert sein kann.

Max Weber kritisierte 1895 Bismarcks Einigungsakt: »Denn dieses Lebenswerk hätte doch nicht nur zur äußeren, sondern auch zur inneren Einigung der Nation führen sollen und jeder von uns weiß: das ist nicht erreicht.«

Bismarck verstand sich mit der Landbevölkerung, konnte mit den Bauern reden. Er hat zwar der Industrie freie Bahn geschaffen, fand aber keinen Zugang zu Arbeitern. Und er meinte auch, zu »unbelebten Gegenständen« wie Maschinen könne man keine Beziehung haben. Da sprach der Junker aus ihm. Die Sozialdemokratie war ihm suspekt. Und er war der Überzeugung: »Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erdulden.« In seiner Sozialgesetzgebung nahm er dann auch Forderungen der Sozialdemokraten auf.

Bezog er seine Frau in sein politisches Tagesgeschäft ein?

Nein. Daran musste ich mich auch erst gewöhnen. Johanna von Puttkamer sagte von sich: »Ich bin eine unpolitische Kreatur.« Ich fragte mich, wie konnte Bismarck eine Unpolitische wählen? Er sagte: »Es war zu Hause eine ganz andere Luft.« Die brauchte er. Johanna verstand seinen Lebensstil. Auch sie stammte vom Lande, liebte die Wälder, Hunde und Pferde. Und sie sorgte dafür, dass er die pommersche Küche nicht vermisste.

Seiner Leibesfülle nach zu urteilen, war diese sehr kalorienreich.

Er legte zu, bis der Arzt einschritt und ihm den Bismarck-Hering empfahl. Denn der ist gesund. Zudem schmackhaft und werde nur deshalb gering geschätzt, weil er häufig vorkommt und wenig kostet, wie Bismarck sagte.

War Bismarck eitel?

Er war selbstbewusst, nicht eitel. »Die Eitelkeit an sich ist eine Hypothek, welche von der Leistungsfähigkeit des Menschen, auf dem sie lastet, in Abzug gebracht werden muß, um den Reinertrag darzustellen, der als brauchbares Ergebnis seiner Begabung übrig bleibt.« Wer eitel ist, ist »traitable«, also zu behandeln. Auch so eine Einsicht, die Bismarck von heutigen Politikern unterscheidet. Nicht nur hierzulande.

Betrog Bismarck seine Frau mit einer Russin?

Nein. Er hat sich in der Jugend ausgetobt. Verheiratet, blieb er Johanna treu. »Ehebruch ist bei mir nicht vorgekommen.« Er mochte Katharina Orlowa wie einst Marie von Thadden, die jedoch schon gebunden war. Wenn er sich in Biarritz mit Katharina traf, war Fürst Orloff dabei. Seiner Schwester Malwine gestand Bismarck: »Ich habe mich ein bisschen in die niedliche Principess verliebt, ohne dass es Johanna schaden tut.«

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