Der Schrecken der Großen

In Katalonien mischt die kleine Zeitung »Cafè amb llet« beim Thema TIPP Politik und publizistischen Sektor auf

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 6 Min.

Lloret, Calella, Blanes - diese drei katalanischen Küstenörtchen sind in Deutschland ziemlich bekannt. Hier, im Speckgürtel von Barcelona und nicht allzu weit von der französischen Grenze entfernt, machen seit Jahrzehnten viele Deutsche Urlaub, sei es mit der Familie oder mit einer Gruppe Mitsaufenden. Von hier, sozusagen aus dem politischen Nichts heraus, ist in den letzten Jahren aber auch eine Erschütterung der katalanischen Politik-Eliten ausgegangen, die ihresgleichen sucht und die immer noch anhält. Es handelt sich um eine märchenhafte Geschichte, die auch Anschauungsmaterial zu zwei grundlegenden Fragen des Journalismus bietet: Wie kann Journalismus zukünftig finanziert werden, und wie wird dabei die inhaltliche Unabhängigkeit und somit Aufrichtigkeit, vielleicht sogar Transparenz, gesichert?

Das Märchen ist die Geschichte der Gratiszeitung »Cafè amb llet« (»Kaffee mit Milch«). Die Geschichte der Zeitung sei »sehr interessant«, sagt Oriol Güell, Redaktionsleiter von Spaniens größter Tageszeitung »El País« in Barcelona. »Sie war eine lokale Zeitschrift, die über das informierte, was in den Dörfern ihrer Gegend passierte. Als sie Angelegenheiten der dortigen öffentlichen Krankenhäuser untersuchte, bemerkte sie eine Intransparenz, und Unstimmigkeiten bei bestimmten Haushaltsposten. Sie begann, dazu zu veröffentlichen. Das geschah in einem sensiblen Moment für das katalanische und das spanische Gesundheitssystem.« Güell meint die Privatisierungen und Einsparungen, die seit 2010 landesweit zu Kämpfen im öffentlichen Gesundheitssystem führen. Die Enthüllungen von »Cafè amb llet« wurden damit noch brisanter. Die von journalistischen Laien gemachte Zeitung brachte ab 2011 ans Licht, dass nicht einmal das Regionalparlament befugt ist, alle Verwaltungsvorgänge im katalanischen Gesundheitssektor einzusehen.

»Die Regionalregierung verwaltet nicht direkt die Krankenhäuser, sondern finanziert sie nur, während öffentlich-private Einrichtungen die Verwaltung besorgen«, erklärt Oriol Güell. Hierdurch sei eine »deutliche Intransparenz« entstanden: Vertragsvergaben ohne Ausschreibung; Ausschreibungen, die nicht den Normen entsprachen; Zahlungen an Verwalter, die viel höher waren, als öffentlich bekannt war. Durch »Cafè amb llet« habe sich die öffentliche Meinung gewandelt, erzählt Güell.

Albano Fachin von »Cafè amb llet« wählt gerne noch deutlichere Worte. Er kann auch gar nicht mit der Abgeklärtheit der Politprofis über dieses Thema sprechen. Für den 38-Jährigen ist das katalanische Gesundheitssystem seit Jahrzehnten von korrupten Strukturen durchzogen.

Fachins Recherche war alles andere als selbstverständlich. Fachin hatte Englisch studiert, gründete dann aber 2005 mit seiner Lebensgefährtin Marta Sibina, einer Krankenschwester, eine Gratiszeitung, die nur so groß sein sollte, dass sie in Bars und Cafés während eines Kaffees gelesen werden konnte. Doch dieses journalistisch unerfahrene Paar war dann hartnäckiger als die meisten größeren Medien vorher.

Mit ihren kritischen Artikeln konnte die kleine »Cafè amb llet« aber wenig ausrichten. Es war ein Akt der Verzweiflung, der die Recherchen dann doch berühmt machte: Um eine neue Öffentlichkeit zu erreichen, stellten Fachin und Sibina im März 2012 ein amateurhaftes Video auf YouTube. Darin liest Marta Sibina 18 Minuten lang einen Text mit den gesammelten Erkenntnissen vor. Titel des Videos: »Der größte Raub in der Geschichte Kataloniens«. Das Video erregte das Interesse von Oriol Güell von »El País«, der Kontakt aufnahm und dann mehrmals bei ähnlichen Recherchen mit »Cafè amb llet« kooperierte.

Ein Anwalt mit Beziehungen in hohen politischen Kreisen, der im Video am Rande vorkommt, verklagte Fachin und Sibina wegen übler Nachrede und gewann zur Verwunderung von Fachleuten in erster Instanz. Eine Geldstrafe von 10 000 Euro schwebte über dem stets klammen Paar. Doch aus dieser Notlage heraus ging »Cafè amb llet« zum Gegenangriff über. Das Geld sollte nicht einfach nur durch eine Spendensammlung zusammenkommen. »Wir sagten: Anstatt die 10 000 Euro zu sammeln, um die Strafe zu bezahlen, sammeln wir sie, um ein Buch zu produzieren, und jeder, der 15 Euro gibt, kriegt ein Buch«, erklärt Albano Fachin.

Die Spenden wurden über eine der üblichen Online-Plattformen für Crowdfunding gesammelt. »In zwölf Stunden hatten wir die 10 000 Euro zusammen«, erklärt Fachin. »Nach sechs Tagen hatten wir 24 000 Euro.« Mehr wollten sie nicht und brachen die Aktion ab. 5000 Exemplare wurden von dem im Sommer 2013 erschienenen Buch verkauft. Seitdem wird es im Internet zum Runterladen angeboten. Die Klage gegen »Cafè amb llet« steigerte also die Popularität der Zeitung beträchtlich - und wurde im Februar 2014 in zweiter Instanz abgewiesen.

Dass die investigativen Amateure sich mit einflussreichen Kreisen angelegt hatten, zeigte dann eine weitere Begebenheit - und wiederum entwickelte sich eine Maßnahme gegen sie zum Bumerang. »Wir wollten das Buch in den öffentlichen Bussen von Barcelona bewerben«, erzählt Fachin. In ihm kommt aber auch der Bürgermeister der Stadt vor. Das Rathaus verbot daraufhin die Werbung mit der Begründung, es sei ein politisches Buch. Das schlug in den sozialen Netzwerken ein, es war Trending Topic bei Twitter. Anschließend berichteten auch die großen Zeitungen darüber. Fachin: »Je mehr sie versuchten, uns den Mund zu stopfen, desto schlechter lief es für sie.«

Im Kleinen haben die Enthüllungen einiges bewirkt. Die großen Fische aus der wirtschaftsliberalen katalanischen Regierungspartei CiU kamen bisher allerdings trotz Ermittlungen ungeschoren davon. Doch »Cafè amb llet« wandte sich einer neuen Front zu: Nach der politischen und wirtschaftlichen Elite nahmen sich die Dauerempörten die großen Medien vor. Im Februar 2014 startete das Blättchen eine Crowd᠆funding-Kampagne, um vier Sonderausgaben mit einer Auflage von 145 000 Exemplaren herauszubringen - nach Eigenangaben die höchste Auflage einer katalonischen Zeitung überhaupt. Der Aufruf hatte Erfolg: Die nötigen 25 000 Euro waren schon am neunten Tag nach Start der Kampagne zusammen.

Aufhänger der Kampagne und Titelthema der ersten Ausgabe waren die Geschäftsbeziehungen zwischen großen spanischen Zeitungen und dem Bankensektor, also die Abhängigkeit ersterer von letzterem. Darüber hinaus berichtet »Cafè amb llet« seitdem über Themen, die die großen Medien unterschlagen. Ob Privatisierungen und lange Wartelisten in Krankenhäusern, Steuervermeidung bei Konzernen, das Freihandelsabkommen TTIP oder Geldflüsse zwischen Firmen und Politikern - die guten und abwechslungsreichen Sonderausgaben sind knallig aufgemacht. Dank vieler Freiwilliger wurden sie in ganz Katalonien verteilt. »Cafè amb llet« hat sich mittlerweile nicht nur zu einem Enthüllungsmedium und Organ der Medienkritik entwickelt, sondern auch zu einem wichtigen Teil der Zivilgesellschaft; andere Medien und Initiativen liefern Inhalte und ganze Artikel zu.

Diese Ausgaben hätten einiges bewirkt, sagt der stets überarbeitete Redakteur Albano Fachin. So sei nach einer Titelgeschichte vom Regionalparlament der Verkauf von Patientendaten durch ein öffentliches Krankenhaus verhindert worden. Dabei sei TTIP bis Ende Oktober vorigen Jahres absolut unbekannt gewesen. Erst nach der Berichterstattung durch »Cafè amb llet« hätten einige große Medien die Hintergründe von TTIP skandalisiert.

Der Kampf gegen dieses Freihandelsabkommen geht weiter. Anderthalb Wochen vor dem heutigen Anti-TTIP-Aktionstag begann die Verteilung einer TTIP-Sonderausgabe. Deren Auflage beträgt nur noch 80 000 Exemplare, da die Zeitung diesmal nicht auf das Mittel des Crowdfoundigs setzt, sondern auf eine regelmäßige Finanzierung durch die Bevölkerung. Dauerspenden von mindestens fünf Euro im Monat sollen eine monatliche Erscheinungsweise ermöglichen. Derzeit würde die Zeitung von rund 800 Personen mit insgesamt 5000 Euro im Monat unterstützt, sagt Fachin. Noch gebe es genug Ersparnisse aus früheren Spenden und Vorauszahlungen, um für die nächsten fünf Ausgaben einen ähnlich großen Umfang zu garantieren. Danach sinkt notfalls die Auflage noch stärker.

Klar ist jetzt schon: Dank des Internets als Verbreitungsweg - immer wieder setzen Fachin und Sibina mit sehr erfolgreichen Online-Videos Politik und Medien zu - und als Instrument zur Einnahmenerzeugung konnten Amateure aus einem Dorf heraus Gegenmacht aufbauen. Unabhängig davon, wie das Märchen weitergeht - »Cafè amb llet« ist, auch über Katalonien hinaus, zum bedeutsamen Alternativmedium geworden und hat Unglaubliches erreicht.

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