Gemeinsam gelitten

KZ-Überlebende bei der Einweihung des Gedenkorts Außenlager Klinkerwerk

Fast zwei Jahrzehnte lang wurde um einen würdigen Gedenkort KZ-Außenlager Klinkerwerk gerungen. Seit Montag gibt es ihn endlich.

Petro Fedorowitsch Mischuk trägt seinen alten Häftlingsanzug mit der Nummer 105 105 und hat sich eine Decke um die Schultern gelegt. Zwar scheint die Sonne. Es ist aber auch windig am alten Hafenbecken des KZ-Außenlagers Klinkerwerk in Oranienburg. Zur Einweihung des neuen Gedenkorts sitzt der alte Mann aus dem westukrainischen Tscherwonohrad am Montag in seinem Rollstuhl.

Aber einmal wuchtet sich Mischuk hoch, und obwohl er dabei stolpert und beinahe stürzt, schafft er es doch, ein paar Schritte zu laufen und sich für ein Foto aufzustellen - Hand in Hand mit einem Kameraden aus Russland. Mischuk hält die ukrainische Flagge, der andere Überlebende hat sich die Farben Russlands an die Jacke geheftet. Beide tragen sie den roten Winkel mit dem »R«. Es ist ein bewegender Moment, nicht der einzige an diesem Tag.

Mischuk überlebte das KZ Sachsenhausen, so wie der Jude Jehuda Eisenberg. Aber beide sind nicht im Außenlager Klinkerwerk gewesen. »Das habe ich damals nie gesehen«, sagt Eisenberg. Er ist jedoch wegen der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers nach Deutschland gekommen - und nun ist er hier auf dem ehemaligen Gelände des Klinkerwerks. »Vernichtung durch Arbeit, das fand hier statt. Dazu gab es gezielte Mordaktionen der SS. Die Häftlinge sprachen von einem Todeslager«, erinnert Kulturstaatssekretär Martin Gorholt. Für Günter Morsch, den Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, ist das Außenlager Klinkerwerk ein »Friedhof«. Neun Tonnen Menschenasche seien hier ausgekippt worden.

»Diesen Ort zu vergessen, wäre ein Verbrechen«, hatte der französische Widerstandskämpfer Pierre Gouffault 2009 gesagt. Noch im selben Jahr war der Präsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees verstorben. Sein Satz steht nun in fünf Sprachen als Inschrift in einer Stahlwand. Davor legt seine Witwe Lucien am Montag den Kranz der Franzosen nieder. Ihre Landsleute singen dazu in ihrer Muttersprache das berühmte Lied von den Moorsoldaten.

Der Soziologe Rüdiger Lautmann erzählt von den schwulen Häftlingen mit dem rosa Winkel: »Gerne hätte man sie umerzogen, um sie der Reserve der richtigen Männer wieder zuzuführen für Fortpflanzung und Krieg.« Da dies nicht gelang, sollten Homosexuelle wenigstens eingeschüchtert werden. Von Juli bis September 1942 hat die SS im Klinkerwerk 200 Homosexuelle planmäßig ermordet. Das waren fast alle, die es damals in Sachsenhausen und in den Außenlagern gab.

Botschaftsrätin Eva Dvořáková verwies auf den Stellenwert Sachsenhausens im kollektiven Gedächtnis der Tschechen. Am 17. November 1939 wurden elf tschechische und ein slowakischer Student in Prag hingerichtet, 1000 Kommilitonen verschleppt, weil die Studenten gegen die Besetzung ihrer Heimat durch die faschistische Wehrmacht rebelliert hatten. Dvořáková bezeichnete die jungen Leute als die »Blüte« Tschechiens. Im Klinkerwerk mussten sie Hunger leiden, Kälte ertragen und schwere Arbeit verrichten. »Ich wünsche, dass solche Dinge nie mehr geschehen.«

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