Flucht durch die Hölle

Der Weg vieler Flüchtlinge ist bereits vor dem Mittelmeer lebensgefährlich

  • Wolf H. Wagner
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie kommen aus Eritrea, Somalia, Bangladesh. Es sind die ärmsten der Bootsflüchtlinge. Wer nicht genug zahlen kann, muss sich als Sklave verdingen. Folter und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung.

Florenz. Ein Dutzend Männer stehen da, halbnackt, die Hände im Nacken verschränkt, den Blick auf den staubigen Boden eines Garagenhofes gesenkt. Wer sich rührt, wird geschlagen. Diese Bilder nahm ein 20-jähriger Syrer auf, der mit einem der Flüchtlingsboote nach Italien kam. Er selbst war nicht geschlagen worden, seine Familie habe gut bezahlt, berichtete er den italienischen Ermittlern.

Doch die meisten können die geforderten zwei- bis dreitausend Dollar nicht aufbringen. Sie würden gequält, um schließlich Angehörige und Freunde zu bewegen, mehr Geld an die Schlepper zu zahlen, erklärt der junge Syrer.

Arme müssen Sklavendienste leisten

Die im Mailänder Corriere della Sera geschilderte Aussage ist keinesfalls ein Einzelfall. Das in der italienischen Tageszeitung veröffentlichte Schockvideo des jungen Syrers zeigt einen der Schlepper, der mit einem Stock auf Flüchtlinge einschlägt, bevor er sie dann in einen barackenähnlichen Raum beordert.

Besonders Frauen und Kinder, die aus den bedrohten Gebieten Eritreas, Somalias, Malis oder Bangladeschs flüchteten, würden schikaniert. Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Die Schlägertrupps setzen sich aus den unteren Chargen der Schleuser zusammen – die eigentlichen Drahtzieher des modernen Sklavenhandels lassen sich nicht blicken.

»Zu uns kamen Männer, die unsere Sprache verstanden, vielleicht ein Äthiopier, der andere war ein Libyer«, erklärte eine 30-jährige Eritreerin. Die Frau, im achten Monat schwanger, wurde geohrfeigt und mit Fußtritten traktiert. Schon wenn man nur eine Frage stellte, gab es Schläge. Auf allen Fluchtetappen mussten die Ärmsten Frondienste leisten, manche wurden auch an Milizen verkauft.

Flüchtlinge als Hilfssoldaten

Vor allem in den unsicheren Krisengebieten Libyens bedienen sich die Milizen der durchziehenden Flüchtlinge. Noch zu Zeiten Muammar Al-Ghaddafis hatten die libyschen Behörden Camps eingerichtet, in denen der Diktator die Flüchtlinge internieren ließ und so von der Überfahrt abhielt. Dies dem mit Wissen der EU sowie kräftiger Bezahlung in Höhe von 50 Millionen Dollar, veranlasst von Italiens damaligem Regierungschef Silvio Berlusconi.

Nach dem Sturz Ghaddafis bemächtigten sich die in dem nordafrikanischen Land untereinander kämpfenden Milizen der Lager und Insassen. Flüchtlinge werden zum Munitionstransport bis in die vordersten Linien sowie zum Bau von Frontanlagen eingesetzt, so berichten Beobachter von Hilfsorganisationen.

Besonders schlimm soll die Lage in Misrata sein, wo Tausende Flüchtlinge in einem KZ-ähnlichen Lager eingesperrt sind. Von Zeit zu Zeit kommen die Milizen und holen vor allem junge Männer aus dem Camp. Unter dem Versprechen, für ihre Überfahrt zu sorgen, werden die Flüchtlinge als Hilfssoldaten eingesetzt, darunter auch in Milizen, die sich der Terrorgruppe Islamischer Staat verbunden fühlen.

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