Gefährdet Cameron Britanniens Einheit?

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Labour und den Konservativen vor der Parlamentswahl

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Zehn Tage bis zur britischen Parlamentswahl, aber noch kein Durchbruch: In der »Sunday Times«-Umfrage führt Labour mit zwei Prozent, im »Observer« die Tory-Partei mit einem Prozentpunkt.

Tory-Innenministerin Theresa May schürt Angst vor »der schlimmsten Katastrophe seit der Abdankungskrise 1936«. Was die Regierenden um May und Premier David Cameron als Menetekel an die Wand malen, ist die Aussicht auf eine Labour-Regierung, die von den Schottischen Nationalisten (SNP) unterstützt werden könnte. Der durchsichtige Zweck: Wechselwähler in England sollen vor dem Absprung zu Labour abgeschreckt werden. Seit der SNP-Niederlage beim Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 spielen sich die angeblich politisch feindlichen eher links angesiedelten Nationalisten und die rechten Konservativen die Bälle zu. Da Camerons Partei nördlich des Tweed nur einen von 59 Parlamentssitzen zu verlieren hat, verlangt sie den Ausschluss schottischer Abgeordneter bei Themen wie Schulen oder Gesundheitswesen, die nur englische Wähler betreffen - also einen Sonderstatus für Schotten als Abgeordnete zweiter Klasse. Dieser Plan würde Labour, das zur Zeit 41 schottische Abgeordnete stellt, ein mögliches Regieren erschweren.

Doch laufen verärgerte Schotten in Scharen von Labour zu den Nationalisten über. Allzu siegessichere Labour-Granden wie Parteichef Jim Murphy oder Douglas Alexander, Anwärter auf den Außenministerposten, laufen so wiederum Gefahr, am 8. Mai das nächstliegende schottische Arbeitsamt aufsuchen zu müssen. Die Chance einer Labour-Mehrheitsregierung schmilzt angesichts der SNP-Fortschritte jedenfalls wie Schnee in der Frühlingssonne. Kein Wunder also, dass der konservative Finanzminister George Osborne Fernsehauftritte von SNP-Chefin Nicola Sturgeon über den grünen Klee lobt: die Feindin meines Labour-Feindes ist meine Freundin.

Nick Clegg, Führer der Liberalen und Vize-Premier, kündigt derweil gehorsam an, keine »Koalition der Verlierer« mit der eventuell zweitplatzierten Labour-Fraktion eingehen zu wollen. Da sieht das die britische Verfassung gar nicht vor, aber der eher rechtsgerichtete Clegg will der bisherigen Koalition unbedingt treu bleiben. Allerdings läuft er Gefahr, seinen Wahlkreis in Sheffield zu verlieren - an Labour. Die Ängste vor einer angeblich illegitimen Labour-SNP-Zusammenarbeit werden geschürt, um von den Fehlern der bisherigen Koalition abzulenken: die dreijährige Verlängerung der Wirtschaftskrise und grausame Sozialkürzungen auf Kosten der Schwachen bei gleichzeitiger Schonung von Reichen und Steuervermeidern. Ein Keil wird zwischen Schotten und Engländern getrieben, die eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung mit umgekehrtem Ausgang ermöglichen könnte. So warnt denn auch Lord Michael Forsyth, Margaret Thatchers einstiger Schottenminister, vor einem gefährlichen Spiel seiner Partei.

Bisher haben die Konservativen nichts als taktische Tricks und Beschimpfungen von Labour-Chef Ed Miliband anzubieten, denn die Wahlgeschenke an ältere Wählergruppen, Pendler und Möchtegern-Hauskäufer verfangen nicht. Zumal Finanzminister Osborne nicht preisgibt, wo er das Messer ansetzen will, um die geplanten Sozialkürzungen zu erreichen. Das entscheidende Problem aber: Cameron gelingt es nicht, eine Zukunftsvision zu entwerfen, weil er an nichts glaubt.

Labour kehrt hingegen den staatspolitisch Verantwortlichen hervor. Das Manifest der Partei verspricht finanzielle Ehrlichkeit, die Kosten ihrer geplanten Neuausgaben sollen durch spezifisch benannte Kürzungen und Steuererhöhungen gedeckt sein.

Die Botschaft: auf uns ist Verlass. Eine Karte, die Miliband schon in einer Fernsehrunde mit den anderen Oppositionsparteien spielte. Doch auch die radikalere Linie von SNP-Chefin Sturgeon - im Gegensatz zu Miliband will sie von Atom-U-Booten in schottischen Gewässern aus moralischen, finanziellen und patriotischen Gründen nichts wissen - bleibt bei den Wählern nördlich des Tweed beliebt. Dabei haben die Konservativen bei weitem das größte Wahlbudget, die Unterstützung von drei Vierteln der Presse, den Vorteil von handelnden Regierenden und den höheren Bekanntheitsgrad des Premierministers.

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