Spitzen gegen Hof und Adel

Georg Philipp Telemanns »Emma und Eginhard oder Die Last-tragende Liebe« in der Berliner Staatsoper im Schiller-Theater

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist Schnee gefallen in der Liebesnacht. Was tun, damit keiner die Spuren sieht, wenn sich der Geliebte in früher Morgendämmerung davonschleicht? Emma weiß sich und Eginhard zu helfen. Sie trägt die geliebte Last huckepack über den Schlosshof. Es ist nicht irgendein Schlosshof, sondern der in der Burg Karls des Großen. Der schlaflose Kaiser beobachtet die seltsame Erscheinung - und tobt vor Wut. Seine Tochter Emma und sein Secretarius, ein bürgerlicher Schreiberling! Auf soviel Ehrvergessenheit steht die Todesstrafe! Für beide! Soviel Standes-Mischmasch kann ein Kaiser nicht zulassen. - Aber Emma ist doch seine Tochter, und Eginhard? Karl hat den begabten Burschen gefördert und der war ihm ein ergebener Beamter; fast empfindet er Freundschaft für ihn. Härte und Mitleid widerstreiten in Kaisers Seele.

Georg Philipp Telemann schrieb seine Oper »Emma und Eginhard oder Die Last-tragende Liebe« 1728, zum 50-jährigen Bestehen der Hamburger Oper am Gänsemarkt. In dieser Bürgeroper musste er keine Rücksicht auf Hof und Adel nehmen.

Zum einen ist es Emma, die sich den Liebsten aussucht, zum anderen weiß sie, welche Konsequenzen ihre unstandesgemäße Liebe haben wird und tut es trotzdem. Außer der Feier dieser Liebes-Emanzipation haben Telemann und sein Librettist Christoph Gottlieb Wend reichlich ironische Kritik an adligem Standesdünkel ausgeteilt, vor allem am Kriegführen, wo »Köpfe spalten, Glieder trennen« das Hauptpläsier ist. »Die Waffen an die Wände«, heißt es gleich im Eingangschor.

Macht schon der Text inhaltlich und in seiner drastischen Sprache Vergnügen, so ist die Musik nicht weniger unterhaltsam. Von polyphonen Ensembles bis berückend schönen Melodie-Erfindungen, vom einfachen Liedchen bis zu dramatischen Koloraturarien reicht die Formen-Vielfalt. Am Reichtum des Klangs sind vor allem die vielen obligaten Soloinstrumente beteiligt. René Jacobs und die Akademie für Alte Musik Berlin tun mit vielfarbigen Rezitativbegleitungen ein Übriges. Das ziemlich große Orchester musizierte atmend und beweglich, klang immer wieder anders, kleine Überraschungseffekte amüsierten, die virtuosen Solisten begeisterten durchweg.

Wunderbare Solisten auch auf der Bühne, keiner, der nicht stimmtechnisch-stilistisch perfekt in seine Rolle passte. Auch figürlich, darstellerisch war die große Besetzung perfekt. Katharina Kammerloher als koloratursprühende Kaiserin, Gyula Orendt als kriegsmüder Karl, Nikolay Borchev als poetischer Eginhard, Stephanie Atanasov in der Hosenrolle des tapferen Sachsenprinzen Heswin und Sylvia Schwartz als kapriziöse Hildegard müssen unbedingt aufgezählt sein; Robin Johannsen als warmherzig leuchtende Emma verdient höchstes Lob. Poesie des Spiels, Innigkeit, technische Sicherheit der Stimmführung, alles passte zueinander.

Telemanns genialer Mischung höchsten, hohen und niedrigen Bühnenpersonals schufen die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr sowie die Bühnenbildnerin Nina von Essen aufregende Spielplätze. Ständig rotiert die Drehbühne, jeder beobachtet jeden, man sieht einander und verbirgt sich, man kriecht durch Kaminlöcher und erklimmt hohe Leitern, genießt die Liebe in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit. Nichts ist ganz klar, die Zeit- und Handlungsebenen wechseln; barockes Wundertheater. Julia Rösler hat alle wunderbar variabel eingekleidet. Mittelalter, Barock, höfisches Rokoko, biedermeierliches 19. Jahrhundert und gegenwärtige Bürogarderobe, es gibt nichts, was man nicht sieht, und in jedem Moment offenbart jedes Kostüm seinen spezifischen Sinn.

Neben dem zentralen Liebespaar sind der Kaiser und sein Narr die Hauptfiguren. Einer ist des anderen Alter Ego, einer trägt des anderen Last. Steffen muss den Kaisermantel tragen und gleichzeitig seine kritischen Spitzzüngigkeiten sagen. Einer spielt mit, der andere tritt beobachtend aus dem Rahmen, immer abwechselnd. Johannes Chum war ein ebenso komischer wie ernsthafter »kurzweiliger Rat«.

Am Ende geht natürlich alles gut aus, aber es dauert ein wenig; drei Stunden des unterhaltsamsten Spektakels.

Nächste Vorstellung: 29.4.

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