Lügen, Leichen, Lachattacken

»Und alles auf Krankenschein« im Schlosspark Theater

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder erweist sich das Schlosspark Theater als ernsthafter Tempel herzerfrischenden Komödienulks, dessen Witz nicht öde verpufft. Bei der neuen Produktion der mittlerweile bestens etablierten Bühne passiert das garantiert nicht. Die Vorlage, der 1992 uraufgeführte Geniestreich »Und alles auf Krankenschein« des Londoner Erfolgsautors Ray Cooney, bietet eine Steilvorlage.

In dem Österreicher Anatol Preissler hat sich genau der richtige Regisseur des Stoffes angenommen; sein Spieltempo dürfte kaum zu übertreffen sein. Preissler nimmt die Zuschauer mit auf eine atemlose Hatz durch Ausflüchte und Notlügen, die zwar den Moment retten, sich auf Dauer jedoch als Fallstricke in eine bös ausweglose Zwangslage entpuppen. Wie präzis der Regisseur die Dialoge auskostet, mit wie vielen szenischen Intentionen er sie bereichert und wie er das vorzügliche Ensemble zu spielerischer Rotglut treibt, erhebt den Abend mit zum Besten, was Berlins Komödienfraktion derzeit offeriert.

Wenn das musikalische Thema der »Schwarzwaldklinik« intoniert wird, weiß man zweierlei: dass das Stück im Arztmilieu spielt und Holger Petzold, mit Auftrittsapplaus bedacht, Teil dieses Teams war. Als Dr. David Mortimore sieht er Freuden entgegen, der Beförderung in Beruf und Adel. Doch seine Vorbereitung auf den Ehrenvortrag werden immer wieder von aufgedrehten Kollegen gestört, denen die anstehende Weihnachtsfeier mit Maskerade wichtiger ist als das Patientenwohl. Eine Freude anderer Art bereitet ihm Ex-Schwester Jane (Astrid Kohrs), die plötzlich nach 18 Jahren auftaucht und den gemeinsamen Sohn Leslie (Philipp Buder) beichtet. Angetrunken vor Glück sei er schon auf der Station, um seinen Vater zu suchen. Der jedoch, seit 18 Jahren verheiratet, will weder die Gattin (Manon Straché) noch die Kollegen von seinem einstigen Fehltritt wissen lassen und erfindet minütlich neue Ablenkmanöver und Hinhaltetaktiken, um delikate Begegnungen zu vermeiden. Das führt, man ahnt es, zu aberwitzig absurden Verwicklungen, die, filigran komponiert, am Ende kaum mehr zu überblicken sind.

Während die Oberschwester (Susanna Capurso) die als Leichnam getarnten Festpräsente zum Frischhalten in die Totenhalle fährt, erdichtet David erst den tödlichen Absturz von Sohn Leslies Vater, um dann von einem mit Grippe eingelieferten, nach einer Hämorrhoiden-OP eben verblichenen Erzeuger zu flunkern. Der liege noch immer auf Station B.

Gattin Rosemary, die Kollegen Hubert (Santiago Ziesmer) und Mike (Tilmar Kuhn), Mutter Jane und schließlich der Sergeant (Jörg Westphal), der Leslies Trunkenheit am Steuer ahnden und ihn mit aufs Revier nehmen möchte - sie alle müssen in Schach gehalten werden, zumal Davids eminent wichtiger Vortrag gleich beginnt. In den 75 Minuten bis dahin, sozusagen in Echtzeit, muss die Lage gerettet werden. Sie verwirrt sich indessen so sehr, dass eine Lösung kaum mehr möglich erscheint. Als die Oberschwester den tobenden Leslie stillspritzen soll, büchst der aus; bei der Verfolgung auf dem Fenstersims jagt er ihr die Injektion ins Gesäß, wobei sie abstürzt. Als Hubert sich bereit erklärt, Leslies Vater zu spielen, umarmt ihn David erlöst. Zu allem Unbill taucht in seinem Rolli Bill Lesley (Achim Wolff) auf, ein dementer Patient und der angebliche Vater von Station B. Dem gefällt, was er vorgeführt bekommt, derart, dass er im Ärztezimmer bleiben will und arglos fragt, ob es dieses Kulturprogramm auf Krankenschein gebe.

Der zweite Teil startet mit dem pausenfinalen Standbild, legt an Fahrt noch zu und wartet mit Gags auf, die man willig stets neu belacht. Die verfängliche Umarmung zweier Männer wird für Sex gehalten; vor Schreck wird jemand bespritzt; Bill kracht mit dem Rolli gegen die Wand; Mike geht für David in eine bezahlte Travestie als Huberts Mutter; es gibt wilde Verfolgungsjagden und wüste Verwechslungseskapaden; Missliebige werden zusammen auf der Toilette eingesperrt; Tote auferstehen. Das geschieht höchst turbulent und im launigen Spielspaß einer fulminanten Darstellermannschaft, dass man sich königlich amüsiert und ein wenig auch ans eigene Leben mit seinen zeitweiligen Irrungen denkt.

Welch überraschende Wendung das Stück nimmt, darf hier freilich nicht verraten, die ausdrückliche Empfehlung eines Besuchs wohl aber gegeben werden.

Nächste Vorstellungen: 14.-21.5., Schlosspark Theater, Schloßstr. 48, Steglitz, Tel: (030) 789 56 67 100, www.schlossparktheater.de

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