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9. Mai wurde jüdischer Feiertag

Russischer Kongress setzte Aufnahme in den religiösen Kalender durch

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Errettung und Befreiung habe der 9. Mai gebracht, so bekam der «Tag des Sieges» zur Danksagung einen Platz im jüdischen Kalender.

German Sacharjajew, Vizepräsident des russischen Jüdischen Kongresses, ist ein erfolgreicher Unternehmer. Seit 2007 führt er auch den Doktortitel. Seine Dissertation ist die bisher einzige zur Entwicklung des Judaismus in Russland. Jetzt hat er dafür gesorgt, dass dem jüdischen religiösen Kalender ein neues Fest hinzugefügt wurde: Jom Schichrur ve Azala - «Tag der Errettung und Befreiung». Wie Sacharjajew erläutert, «fällt er nach dem jüdischen Kalender auf den 26. Tag des Monats Ijjar.» Das ist nach gregorianischer Zeitrechnung der 9. Mai und in Russland der «Tag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg».

«Viele Juden», sagt Sacharjajew, «haben heldenhaft als Soldaten gegen Hitlerdeutschland gekämpft. Und wenn es diesen Tag nicht gegeben hätte, würde es auch unser Volk nicht mehr geben. Alle Juden wären in den Gaskammern des Dritten Reiches vernichtet worden. Trotzdem wurde der 9. Mai in Israel bisher nicht gefeiert. Ich denke, das ist nicht richtig und auch nicht gerecht.»

Sacharjajew wollte das ändern. Schon vor ein paar Jahren, sagt er, sei ihm die Idee gekommen. Von russischen Rabbinern, israelischen Politikern, aber auch von Verbänden jüdischer Veteranen weltweit habe er viel Unterstützung bekommen. «Mehr noch: Viele haben sich gewundert, warum bisher noch niemand auf diese Idee gekommen ist.» Das Hauptproblem, sagt Sacharjajew, sei daher gewesen, die beiden Oberrabbiner Israels für den Plan zu gewinnen. «Der jüdische religiöse Kalender ist seit Jahrhunderten der gleiche, seine Feste gehen auf die Thora und auf die Propheten zurück. Ihn zu ändern, ist daher so gut wie unmöglich.»

Wie hat er das schier Unmögliche dennoch fertig gebracht? «Der Wert des Sieges über den Faschismus», sagt er, «ist allen klar. Und schauen Sie sich doch den jüdischen Kalender einmal an. Fast alle Feste - Passah, Chanukka oder Purim - haben mit Errettung unseres Volkes vor Vernichtung oder Versklavung zu tun. Wo bitte ist da der Unterschied zum »Tag der Errettung und Befreiung« vom Faschismus? Eine eher rhetorische Frage. Die Juden, sagt Sacharjajew, hätten auch im Zweiten Weltkrieg die Hoffnung auf Errettung und Befreiung nie aufgegeben. »Sie waren überzeugt, dass der Allmächtige sein Volk nicht verlassen wird. Und so ist es dann ja auch gekommen.«

Der eigentliche Sinn des neuen Festes sei daher »Danksagung für die Errettung unseres Volkes. Ein Schreiben der beiden Oberrabbiner regelt genau, welche Gebete dazu in allen Synagogen gesprochen werden.« Vorschriften zum Umgang in der Familie mit dem neuen Feiertag - Festtafel, und wenn ja, was kommt auf den Tisch und womit stößt man an - gebe es bisher nicht, sagt Sacharjajew. »Aber Ideen haben wir schon und die Suche danach geht weiter.«

Wichtig ist ihm persönlich vor allem eines: »Der Tag der Rettung und Befreiung soll auch Anlass sein, sich mit Spekulationen und Geschichtsverdrehung auseinanderzusetzen. Im toleranten Europa gibt es inzwischen Menschen, die die Nazi-Ideologie als eine politische Strömung unter vielen tolerieren.« Und Nationalsozialismus und Stalinismus in einen Topf zu werfen, »halte ich für falsch«, sagt Sacharjajew. »Bei allem Negativem: Der Stalinismus hat nie die Vernichtung ganzer Völker oder die Trennung der Menschen nach rassischem Prinzip propagiert.«

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