Schlaflos in Prag

Zehn-Tore-Debakel gegen Kanada wirkt bei den deutschen Eishockeyspielern nach

  • Jörg Soldwisch, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem WM-Debakel gegen Kanada lecken die deutschen Eishockey-Nationalspieler ihre Wunden. Im Duell gegen die Schweiz wollen sie eine Reaktion zeigen. Das Selbstvertrauen ist aber im Keller.

Lächeln nach der Lachnummer: Ausgerechnet am Tag nach der peinlichen 0:10-Klatsche gegen Kanadas Kufencracks mussten die deutschen Eishockey-Nationalspieler beim Fotoshooting für das offizielle WM-Teambild gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn die Vorführung erster Klasse durch Sidney Crosby und Co. hing den Spielern auch nach einer wenig geruhsamen Nacht mit ganz schlimmem Kopfkino noch immer in den Klamotten.

»Jeder hat Zeit gehabt, darüber nachzudenken und vielleicht auch Probleme gehabt, in den Schlaf zu kommen«, sagte Kapitän Michael Wolf am Montag. Der Routinier versprach für das dritte Gruppenspiel am Dienstag in Prag gegen die Schweiz eine Reaktion der Mannschaft: »Jeder Spieler hat Ehre und Charakter genug, um alles daran zu setzen, dass so etwas nicht mehr vorkommt.«

Wiedergutmachung forderte auch DEB-Präsident Franz Reindl. »Jammern hilft jetzt nicht«, sagte er. Die höchste Niederlage einer DEB-Auswahl gegen die Ahornblätter seit 48 Jahren hatte aber auch ihm aufs Gemüt geschlagen: »Das war einer der bittersten Nachmittage für uns. Wenn man 0:10 verliert und dabei praktisch keine Chance hat, dann ist das sehr schwer zu verarbeiten.«

Bundestrainer Pat Cortina versuchte es natürlich trotzdem. Er führte Gespräche mit den Spielern und zeigte ihnen auf Videos die größten Fehler auf. »Wir haben keine Panikattacke geschoben, sondern uns ausgetauscht, wie es dazu kommen konnte«, verriet Wolf: »Großartig draufzuhauen braucht man nicht. Nach einem 0:10 ist jeder genug bedient.« 24 Stunden nach der 2:1-Zittersieg zum WM-Auftakt gegen Frankreich war das deutsche Team gegen Kanadas Kufencracks ab Mitte des ersten Drittels nicht mal ansatzweise konkurrenzfähig. Die Körperlosigkeit, mit der sich die heillos überforderten DEB-Profis den Angriffswellen der NHL-Stars fast schon ergaben, verwunderte auch Bundestrainer Cortina: »Es ist okay, ein Spiel zu verlieren. Aber es ist nicht okay, seine Identität zu verlieren.«

Auf die Frage, ob er den Mangel an Leidenschaft in der Kabine auch laut angesprochen habe, antwortete Cortina: »Möglich.« Generell ist der stoische Italo-Kanadier aber kein Freund deftiger Worte, er setzt bei der Aufarbeitung des Debakels auf den Lerneffekt: »Wir müssen zeigen, dass wir unsere Lektion gelernt haben.« Zumindest waren die Spieler einsichtig. »Wir sind alle sauer. Ich würde am liebsten noch mal spielen«, sagte der Mannheimer Marcus Kink: »Alle vier Tore im ersten Drittel waren Geschenke.« Auch NHL-Profi Tobias Rieder gestand: »Gut gelaufen ist gar nichts. Wir müssen das Ergebnis aus unseren Köpfen streichen.«

Dennis Endras dürfte das wohl am schwersten fallen. Als Torwart lebt der 29-Jährige wie kein anderer auf dem Eis vom Selbstvertrauen, das er mit einem überragenden Auftritt gegen Frankreich gestärkt hatte. Gegen Kanada gab es für den Mannheimer Meistergoalie sechs Gegentore und die Auswechslung im Mitteldrittel. Einen anderen Torhüter von Beginn an aufzustellen, kam für Cortina aber nicht infrage: »Wenn ich nicht den Torwart aufgestellt hätte, der das erste Spiel gewonnen hat, was für ein Zeichen hätte ich dann an meine Mannschaft gesendet?« Endras selbst war frustriert. »Superstars hin oder her – so haben wir uns das nicht vorgestellt«, sagte der Held der Heim-WM 2010 in seinem täglichen Videotagebuch: »Ich hoffe es ist verständlich, dass heute nichts Lustiges von mir kommt. Es war ein bitterer Abend.« SID

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