Jeder hätte ein Elser sein können

Oliver Hirschbiegel im streitbaren Gespräch über seinen Film »Elser- Er hätte die Welt verändert«

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Geschichte des 3. Reichs lässt Oliver Hirschbiegel nicht los. 2001 thematisierte er im Psychothriller »Das Experiment« das Stanford-Experiment, 2005 bebilderte er in »Der Untergang« die letzten Tage im Bunker Hitlers. In »Elser« folgt er einem unpolitischen Handwerker aus dem Schwäbischen, der am 8. November 1939 Hitlers Führungsriege in die Luft sprengen wollte.

nd: Warum ist Elser fast vergessen während an Stauffenberg regelmäßig erinnert wird?
Hirschbiegel: Er stammt aus der falschen Schicht.

Ist es wirklich so einfach.
Ich fürchte ja. Arbeiter haben keine Lobby. Die Aristokratie, zumal wenn sie wie die Stauffenbergs zur Militärkaste gehörte, hatte andere Möglichkeiten der Popularisierung des Widerstands. Außerdem ist es den Nazis gelungen, Elser als unzurechnungsfähig zu diffamieren. Ich kannte ihn auch als Eigenbrötler, der sich in seinem Wahn in den Kopf gesetzt hatte, Hitler in die Luft zu sprengen. Dann habe ich die Konstruktionspläne der Bombe gesehen, das war alles andere als amateurhaft. Ich hoffe daher, dass er künftig in einem Atemzug mit Stauffenberg genannt wird.

Elser passte auch nirgends ins Bild. In der DDR war es die sinnlose Tat eines Einzelkämpfers. Und in der BRD störte, dass er der Kommunistischen Partei nahe stand?
Die Stimmung der Nachkriegsjahre vergisst man gerne. Dass ein Mitglied einer legalen Partei wie der DKP nicht das Lehramt ausüben oder bei der Post arbeiten durfte, gehörte zu den absurden Auswüchsen der Demokratie. Elser war schwer zu fassen. Er handelte alleine und war nicht Mitglied einer Bewegung. Von Stauffenberg oder der Gruppe um Sophie Scholz konnten nach dem Krieg viele Mitstreiter berichten. Aber letztlich war ausschlaggebend, das Elser ein Mensch war, der nur seinem Gewissen gefolgt und sich zur Wehr setzte. Das hätte jeder Deutsche tun können.

Hätte Elser mit dem Tyrannenmord die Geschichte verändert?
Er hätte 60 Millionen Menschenleben retten können. Hitler war die entscheidende Kraft dieser Bewegung. Und seine Führungsriege wäre tot gewesen. Das zweite Glied hätte nichts auf die Reihe bekommen.

Macht man sich das nicht zu einfach?
Russland ist gegen den Wiederstand der Wehrmachts-Führung angegriffen worden. Und keiner wäre so wahnsinnig gewesen, England zu bombadieren. Das waren Hitlers Gedanken. Die Wehrmacht hätte auf Basis revanchistischer Gedanken vielleicht Appetit gehabt, es Frankeich heimzuzahlen. Die Pläne lagen in der Schublade. Langfristig wäre es ein Pyrrhussieg geworden. Großbritannien hätte eingegriffen. . Es hätte 20 Millionen Tote gegeben.

Und der Holocaust, der sechs Millionen das Leben kostete?
In »Mein Kampf« hatte Hitler formuliert, dass die Menschen jüdischen Glaubens aus der Gesellschaft verschwinden sollten. Aber die Strategie der industriellen Ermordung ist erst später entwickelt worden. Sie basierte wohl auf seiner Ansage. Nachzuweisen ist dies nicht.

Ist es Zufall, dass Elser sein Attentat am Vorabend des ersten Jahrestags der »Reichskristallnacht« plante?
Ich habe dies niemals herausgefunden. Diese Überlegungen haben Autor Fred Breinersdorf und mir das Leben nicht leichter gemacht. Wir haben versucht, das in das Buch einzubauen. Den Gedanken aber fallen gelassen, weil er in eine andere Richtung geführt hätte. Wir deuten die Entwicklung nur damit an, dass eine Frau mit dem Schild »Juden unerwünscht« auf dem Marktplatz sitzt.

Und die faschistische Ideologie endgültig die Stimmung im Dorf Elsers bestimmte?
Das war die Idee hinter dem Film. Mit Elser beobachten wir, wie sich ein Dorf verändert, in dem man zunächst gerne leben würde. Diese Schweine habe es mit brauner Soße übergossen.

Aber war Elser nicht sehr naiv? Bei seiner Verhaftung hatte er alle Pläne bei sich.
Das hatte schon was von Naivität. Soweit wir recherchieren konnten, wollte er mit den Plänen seine Täterschaft beweisen, um als politischer Flüchtling anerkannt zu werden. Das hätte ihm sonst keiner geglaubt.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal