Der Mut und die Wut der Frauen

Teilnehmerinnen des Gegengipfels fordern sofortige Geschlechtergerechtigkeit

  • Gisela Dürselen, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Beim Protest gegen die G7 geht es auch um die Geschlechterfrage. Denn bis zur wirklichen Gleichberechtigung ist es weltweit noch ein sehr weiter Weg.

»Wir sind Frauen, wir sind viele und wir haben die Schnauze voll«, skandiert vor der Münchner Freiheizhalle Roswitha Reger mit einem Plakat vor dem Bauch, auf dem steht, dass es beim Geschäft mit Sex keinen fairen Handel gibt. Auch Gertraud Gafus reicht’s schon lange, darum will sie sich den Mund nicht verbieten lassen und steht in München und Garmisch für eine bäuerliche Arbeitsgemeinschaft im Berchtesgadener Land auf dem Podium. Jayati Gosh aus Indien sagt als Eröffnungsrednerin des Gipfels der Alternativen: »Eine Frau an der Spitze ist nicht genug. Aber genug Frauen in allen Gremien würden die Kultur der Politik verändern.« Damit spricht die Wirtschaftswissenschaftlerin das aus, was die Erkenntnis vieler auf diesem Treffen ist: Wer mehr Lebensqualität statt mehr Bruttosozialprodukt will, muss Paradigmen ändern - und letztlich neue Formen des Miteinanders finden.

2015 ist ein wichtiges Jahr für Frauen: Vor 20 Jahren tagte die vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking; vor 15 Jahren verabschiedete die UNO die Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Beide Ereignisse gelten als Meilensteine für die Gleichberechtigung: Bei der Aktionsplattform zum Abschluss der Pekinger Konferenz wurden erstmals klare Ziele definiert und Maßnahmen für die Gleichstellung der Geschlechter aufgelistet. Die Resolution 1325 aus dem Jahr 2000 fordert eine stärkere Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen sowie internationalen Friedensmissionen und soll ihren Schutz in Konfliktregionen verbessern.

20 Jahre nach Peking gibt es Fortschritte auf dem Papier, aber trotz aller gesetzlicher Verbesserungen besteht in keiner Region der Welt Geschlechtergerechtigkeit. Die strukturellen Ursachen für Ungleichheit bestehen fort, und der politische Wille fehlt, sagt beim Workshop »G7 und die Stärkung von Frauen – Gleichstellung kann keine weiteren 20 Jahre warten« Christa Randzio-Plath vom Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Das Frauenthema wird auch beim G7-Treffen in Elmau zu den entwicklungspolitischen Schwerpunkten gehören. Doch beim Workshop in München geht es um mehr als Qualifizierung und wirtschaftliche Stärkung von Frauen sowie Geschlechtergerechtigkeit als ein Instrument zur Steigerung von Produktivität und Wachstum. Beim Alternativgipfel wird diese als elementares Menschenrecht verstanden, welches Bedingung für die Bekämpfung von Armut und Hunger und ein friedliches Zusammenleben von Menschen ist.

Weil Frauen besonders in Krisengebieten »brutal viel auszuhalten und brutal wenig zu sagen haben«, weil sie bei der vielbeschworenen Ernährungssicherheit und -souveränität eine besondere Rolle spielten, gibt sich Gertraud Gafus als Bundesvorsitzende für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL) kämpferisch. Zwar ist Frau Merkel für sie das beste Beispiel dafür, dass »Frauen nicht per se die besseren Menschen sind, die automatisch eine bessere Politik machen«. Aber die weibliche Lebenswelt sei anders als die der Männer, und darum sei die Sicht von Frauen wesentlich. Etwa dann, wenn es darum geht, an künftige Generationen zu denken: In der Landwirtschaft zum Beispiel verhindere die ständige Maximierung von Erträgen, dass der Boden für die Kinder bewahrt wird, und die großen Strukturen in Handel und Verarbeitung führten zur Entfremdung zwischen Bauern und Verbrauchern. Eine Erkenntnis, die sie schon während des Gymnasiums als Austauschschülerin in Bolivien gewann: »Wir leben nicht auf einer Insel«. Weder Bauern noch Frauen und Männer - und auch nicht die Menschen in den reichen Industriestaaten.

Nach der Workshop-Runde tragen die Teilnehmer*innen ihre Ergebnisse aus dem Gipfel der Alternativen als Botschaft an das Protestcamp auf Karten zusammen. Dort wird dann Gertraud Gafus wieder in erster Reihe stehen und sagen, dass TTIP, ihrer Meinung nach »so überflüssig wie ein Kropf« und die Maxime »groß und immer größer und mehr« ein kurzfristiges Denken sei. Sie wird sagen, dass es ihr »nicht egal ist, wie es anderen Menschen auf dieser Welt geht«, und dass sie sich darum ihren »Mund nicht verbieten lassen - auch von 20 000 Polizisten nicht«.

Auch Kofra-Aktivistin Roswitha Reger wird bei den Protesten vor Elmau wieder lautstark dabei sein, und die indische Professorin Jayati Gosh wird weiterhin auf vielen Podien der Welt stehen und transnationale Allianzen schmieden, weil sich »Demokratie nicht in periodischen Wahlen erschöpft, sondern Mehrheiten braucht«. Solche Mehrheiten, die ihre Alternativen nicht nur sichtbar machen, sondern auch Druck auf die Politik ausüben.

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