Exiljournalist nennt Europaspiele in Baku »PR-Show für ein totalitäres Land«
Kritik an stiller Diplomatie deutscher Sportfunktionäre
Der regimekritische aserbaidschanische Journalist Emin Milli hat die an diesem Freitag beginnenden Europaspiele in Baku als Werbung für die dort herrschende Familie Alijew kritisiert. »Alle, die an den Spielen teilnehmen, sollen wissen, dass sie an einer PR-Show für ein totalitäres Land teilnehmen«, sagte Milli im nd-Interview. »Eine einzige Familie hat ein ganzes Land im Griff und presst es aus«, fasst Milli die wirtschaftliche und politische Situation in seiner Heimat zusammen, das von Präsident Ilham Alijew in der Nachfolge seines Vaters seit 2003 regiert wird.
Für die erstmals stattfindenden Europaspiele seien schon Menschen gestorben. »Die Regierung hat versucht, die Stadt für die Spiele zu verschönern. An mehr als 800 Häusern wurden neue Fassaden angebracht, dafür wurden leider leicht brennbare Materialien verwendet. Mehrere Bürger haben die Behörden darauf aufmerksam gemacht und sich beschwert, doch sie wurden immer wieder abgewiesen und beschwichtigt. Am 19. Mai brannte dann ein Hochhaus in Baku, 16 Menschen starben«, berichtete Milli.
Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit, die Europa wegen der Spiele auf sein Land richtet, politisch etwas bewirkt, hat der 36-Jährige nicht. »Nach der Aufmerksamkeit durch den Eurovision Song Contest 2012 wurden viele Menschenrechtler, Journalisten und Aktivisten verhaftet.« Stille Diplomatie, wie sie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit Gesprächen vor Ort angekündigt hat, lehnt Milli ab. Stattdessen wünsche er sich politische Statements von Athleten.
Emin Milli ist einer der wenigen regimekritischen Journalisten aus Aserbaidshan, die derzeit nicht inhaftiert sind. Nach jahrelangen Repressionen und einem 16-monatigen Gefängnisaufenthalt hat er 2013 das Land verlassen und betreibt heute von Berlin aus den Internet-Fernsehsender »Meydan.tv«.
Das Interview mit Emin Milli lesen Sie in der nd-Dienstagausgabe.
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