Gleißen und Glitzern, Blinken und Funkeln

Die Heavy-Metal-Band Judas Priest, die bezauberndste Geschmacksverirrung der Welt, gab ein Konzert in der Arena

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir blicken auf hautenge schwarze Lederhosen, durch welche sich deutlich die Geschlechtsteile ihrer Träger abzeichnen, auf in grellem Silberglanz funkelnde Jäckchen, Stulpen und Unterarmschoner, korsettähnliche und mit Lederriemen und -bändeln zusammengehaltene schwarze Lederwestchen und nietenbeschlagene ärmellose Lederunterhemden.

Breitbeinig stehen zwei der Musiker dicht beieinander, und der eine wirkt dabei wie der exakte Klon des anderen. Gleichzeitig schütteln sie rhythmisch ihre graublonden Haarmähnen, schwenken ihre Gitarrenhälse im Takt hin und her und malträtieren, simultane Bewegungen ausführend, ihre in der Formgebung Pfeilen nachempfundenen E-Gitarren. Wie Zwillinge stehen sie da in ihren Lederhemdchen. Zwillinge, die ein Kunststückchen einstudiert haben.
Es ist eine millionenfach bewährte Choreographie, die alle Anwesenden kennen und jederzeit mittels Luftgitarre nachzuahmen imstande sind.

Rob Halford, Sänger und Zentralfigur von Judas Priest, den die Fans ihren »Metal God« nennen, wird demnächst 64 Jahre alt. Und er hat eine Obsession mit Mänteln: Mal steckt er in einem bodenlangen, mit Kettchen und Nietenmustern behangenen Ledermantel, mal in einem robenähnlichen, fast nur aus Glitzerkram zu bestehen scheinenden Kaftan, mal trägt er einen silbern schimmernden Gehrock aus Satin oder hochglänzendem Acetat, mal einen Lack- und Ledermantel. Als eine Art Zeremonienmeister schreitet er nahezu unentwegt ruhelos über die Bühne, grollt und kreischt. Einmal, mitten im Konzert, sitzt der Ledermann sogar plötzlich einmal auf einem großen Motorrad und singt von der Schönheit der Maschinen aus Stahl und des Rauschs der Geschwindigkeit: »There’s many who tried to prove that they’re faster / But they didn’t last and they died as they tried«. Viele gab’s, die den Beweis zu erbringen suchten, sie seien schneller / Doch sie währten nicht lange und verendeten, als sie es wagten.

Überhaupt herrscht ein einziges Gleißen und Glitzern, Blinken und Funkeln auf der Bühne, die da und dort wiederholt in Kunstnebelschwaden gehüllt ist. Hinter der Band, auf einer Großbildleinwand: lodernde Opferfeuer, Zombies, Flutwellen, Schlangen, rotglühende Funken. Heißa, der Heavy-Metal-Zirkus ist heut’ in der Stadt! Und er ist, ganz klar, auch ein Tanztheater, ein Ballett, eine opulente Wagner-Oper mit Stromgitarren, eine lebende Weihnachtsdekoration. Nichts fehlt: nicht die pathetischen Gesten, nicht die Gitarrenhalsmasturbation, nicht die affektierten Posen. »Are you ready? Is everybody ready? Lets go!« Ja, auch die gute alte Tante Publikumsanimation ist heute wieder mit dabei. Es stimmt einfach alles. »Priest! Priest! Priest!«, skandiert die Menge. Es ist der Abend des Armehochreißens und Fäusteballens.

Judas Priest machen in der Treptower Mehrzweckhalle Arena ihrem Ruf alle Ehre: Die Band kann wohl auch künftig als eine der famosesten, bezauberndsten und langlebigsten Geschmacksverirrungen des 20. Jahrhunderts gelten.

Wie man an diesem eklektizistischen Budenzauber früher die homoerotische Komponente übersehen konnte, gibt einem heute Rätsel auf. Umso offensichtlicher ist, warum es damals wie heute gerade die verzweifelt nach ihrem Platz in der Gesellschaft, nach einer handfesten, klar umrissenen Identität suchenden und vom dauernden Auf und Ab ihrer Hormone geplagten Männer sind, die sich so begierig auf die Band und ihre im Grunde recht eindimensionale Musik stürzten. Hier fanden sie – offen ausgestellt auf einer Bühne oder Bandfotos – etwas, das sie in sich unterdrücken mussten, Bilder und Images, die sie in einem anderen, einem nicht explizit maskulin codierten Zusammenhang verleugnen mussten, weil sie als verspielt und irgendwie schwul galten: eine Überdosis Glamour, glitzernde Metallkettchen und Gürtelschnallen, funkensprühende Pyrotechnikspiele, nicht zu vergessen die grandiosen Kitschgemälde auf den Plattencovern, z.B. das auf »Painkiller« zu sehende (1990): ein geflügeltes phallisches Phantasiewesen aus Stahl, das auf einem lebendigen, einem Drachen ähnelnden Phantasiefahrzeug vor einem purpurfarbenen Sternenhimmel einem glühenden Abendrot entgegenschwebt. Hier, bei Judas Priest, konnten die jungen Männer sich zu all dem irrwitzigen Superkitsch bekennen, weil er gekleidet war in einen Sound, der als Männermusik daherkam: harte Gitarren, Schlagzeugdonner, tonnenschweres Pathos und eine beängstigende Ernsthaftigkeit im Vortrag.

Gemeinsam mit Saxon und Iron Maiden war die Band um den charismatischen Rob Halford eine treibende Kraft des britischen Heavy Metal, dem es in den frühen 80er Jahren gelang, vor allem die musikalisch oft eher unbedarfte Landjugend für sich einzunehmen. Viel war nicht notwendig, um dieses Milieu zu bezaubern. Hier ein bisschen breitbeiniges Mackergetue, chromglänzende Teile an röhrenden frisierten Motorrädern, verspiegelte dunkle Sonnenbrille, ausgewaschene ärmellose Jeansjacke, schwarzes Leder, ein Kassettenrekorder, den man nicht ohne heimlichen Stolz an die Dorfbushaltestelle stellte und aus dem ein Sound ertönte, zu dem man die Faust ballen konnte: eins, zwei, drei – fertig war die Identität. Jetzt war man einer von den harten Kerlen, die Sätze sagten wie »Komm her, wenn du was auf die Fresse willst«. So war das damals, vor 35 Jahren, in der westdeutschen Provinz, nur dass die Harley-Davidson oft nur ein Mofa war. Im Grunde hat sich seither weder an der Ikonographie noch am Soundbild von Judas Priest allzu viel verändert. Warum auch? Schließlich hat man seinerzeit auch am VW Käfer oder der Fernsehsendung »Aktenzeichen xy« über die Jahrzehnte nur wenig verändert. »Metal war nie wirklich in Mode, also kommt er auch niemals aus der Mode«, sagte kürzlich Ian Hill, der Bassist der Gruppe. Das muss wohl als Bekenntnis zu Traditionsbewusstsein, zur stolzen Bewahrung des Althergebrachten verstanden werden. Britischer Traditionsmetal wäre demnach das musikalische Pendant zu Black Pudding oder zum Kilt: Niemand braucht ihn, aber alle haben sich an ihn gewöhnt. Er ist eben da, so lange man zurückdenken kann. Und selbst seine fragwürdigsten und quälendsten Hervorbringungen werden vom Fan noch goutiert. »Pass auf, jetzt kommt eine der gefürchteten Balladen!«, ruft der Mittdreißiger, der neben mir steht, und strahlt dabei.

Tatsächlich, so haben Judas Priest wieder einmal bewiesen, ist der traditionelle Heavy-Metal das sich am dauerhaftesten gegen jede Modernisierung sträubende Genre, er ist heute gewissermaßen die CSU des Pop, die Musik einer auf Beständigkeit Wert legenden und gegenüber allem Neuen skeptischen Mittelschicht. Und er ist ähnlich erfolgreich: Judas Priest haben weit über 50 Millionen Platten verkauft. Vielleicht gerade weil die viel und gern zitierte Vieldeutigkeit und Offenheit der Popmusik hier ihre Grenzen erreicht: Männer, die aussehen, als wollten sie ohne jede Spur von Ironie bis ins kleinste Detail eine Heavy-Metal-Band aus den frühen Achtzigern nachahmen, tatsächlich aber die gealterten Originale sind, sangen am Dienstag über Geschwindigkeitsfetischismus, Feuer, Rauch und Ich-Auflösung. Tausende fühlten sich davon gut unterhalten. Ich auch, irgendwie.

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