Freiheit für die 17

In El Salvador setzt sich eine Kampagne für Frauen ein, die wegen Schwangerschaftsabbruch in Haft sind

  • Michael Krämer, San Salvador
  • Lesedauer: 6 Min.
26 Frauen wurden in El Salvador von 2000 bis 2011 wegen mutmaßlichen Schwangerschaftsabbruchs als Mörderinnen verurteilt. Inzwischen formiert sich zivilgesellschaftlicher Widerstand dagegen.

Es begann mit Karina Climaco. Diese junge Frau aus einem Armenviertel am Rande von El Salvadors Hauptstadt San Salvador erlitt eines Nachts im Januar 2002 eine Frühgeburt, zu Hause, ohne medizinischen Beistand. Da sie viel Blut verloren hatte, brachten Familienangehörige sie in ein öffentliches Krankenhaus. Das Kind kam nach Karinas Angaben tot zur Welt. Doch die behandelnden Ärzte benachrichtigten die Polizei, denn angeblich hatte Karina eine Abtreibung vorgenommen.

Und die ist in El Salvador strikt verboten, unter allen Umständen. Selbst nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Frau. Zwei bis acht Jahre Gefängnis stehen seit der Strafrechtsreform 1998 auf eine Abtreibung. Nach der 22. Schwangerschaftswoche drohen wegen Mordes sogar bis zu 40 Jahre Gefängnis. Auch Karina Climaco wurde wegen Mordes verurteilt, zu 30 Jahren Haft. Sieben lange Jahre verbrachte sie in einem überfüllten Gefängnis, bis ihr Fall öffentlich wurde und eine Solidaritätsbewegung für sie entstand. Ein Anwalt konnte nachweisen, dass Karina nur aufgrund von Indizien verurteilt worden war. Im Juli 2009 kam sie frei. Jung und arm, das reicht einigen Richtern in El Salvador, um eine Frau auch ohne Beweise zu langen Haftstrafen zu verurteilen.

26 Frauen wurden nach Angaben der »BürgerInnenvereinigung zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs« von 2000 bis 2011 unter diesen Umständen wegen Mordes verurteilt. Diese Organisation war aus der Solidaritätsbewegung mit Karina Climaco entstanden und setzt sich bis heute für die Aufhebung des absoluten Abtreibungsverbots in El Salvador ein.

»Eine reiche Frau kann ins Ausland reisen, eine arme Frau verblutet«, kritisiert Sara García die Gesetzgebung ihres Landes. Die 29-jährige Psychologin ist seit 2010 bei der BürgerInnenvereinigung und hat schon viele Frauen im Krankenhaus oder im Gefängnis betreut.

Im April vergangenen Jahres hat ihre Organisation gemeinsam mit anderen eine Kampagne gestartet, um 17 Frauen freizubekommen, die zumeist wegen angeblichen Mordes zu bis zu 40 Jahren Haft verurteilt worden sind und bei denen der Rechtsweg schon ausgeschöpft ist. Eine von ihnen ist María Teresa Rivera, eine andere ist Guadalupe Vásquez. Bis vor kurzem saßen beide noch in Ilopango nahe der Hauptstadt San Salvador, im größten Frauengefängnis El Salvadors ein. María Teresa Rivera ist bis heute in Haft, Guadalupe Vásquez aber ist Mitte Februar freigekommen.

Sie war erst 17 Jahre alt, als sie auf dem Heimweg von ihrer Arbeit von einem Mann überfallen und vergewaltigt wurde. Sie wurde schwanger, etwa acht Monate später brachte sie ein Kind zur Welt. Eines Nachts setzten plötzlich die Wehen ein, die junge Frau erlitt eine Fehlgeburt und verlor viel Blut. An viel erinnern kann sie sich nicht mehr. Außer dass die Frau, bei der sie als Kindermädchen arbeitete, sie ins Krankenhaus brachte, wo sie am nächsten Tag mit Handschellen an das Bett gefesselt aufwachte. Verhaftet wurde sie wegen Abtreibung, angeklagt und verurteilt jedoch zu 30 Jahren Haft wegen Mordes an dem Kind.

Nun ist Guadalupe Vásquez 25 Jahre alt, sieben lange Jahre hat sie in Ilopango verbracht. Jahrelang kümmerte sich niemand um sie, fürchtete sie, dass sie 30 lange Jahre in dieser Haftanstalt verbringen müsse. Eingepfercht in einem Gefängnis, das einst für 700 Frauen gebaut wurde und das heute mit weit mehr als 2000 Insassinnen komplett überbelegt ist.

Guadalupe Vásquez hatte Glück im Unglück. Sie gehörte zu den 17 Frauen, deren Begnadigung die Kampagne erreichen wollte. Eine Frau kam im Herbst 2014 nach mehr als zwölf Jahren frei, ihre Haftzeit ging zu Ende. Guadalupe Vásquez wurde die erste Frau überhaupt, die in El Salvador vom Parlament begnadigt wurde. Der Oberste Gerichtshof hatte sich in einem Gutachten für ihre Freilassung eingesetzt. Dieses achtseitige Gutachten ist eine wahre Ohrfeige für die 2. Strafkammer von San Salvador, die Guadalupe Vásquez verurteilt hatte. Das Gericht habe das Prinzip »Im Zweifel für die Angeklagte« missachtet, auch habe sie kein faires Verfahren bekommen. »Der Justizirrtum« könne der Angeklagten für die Haftzeit »das Recht auf Entschädigung geben«.

Guadalupe Vásquez ist frei. Die 15 anderen Frauen jedoch nicht. Deren Gutachten vom Obersten Gerichtshof sind alle negativ ausgefallen. »Das ist eine riesengroße Ungerechtigkeit«, erklärt Morena Herrera, die seit vielen Jahren für Frauenrechte in El Salvador streitet und eine der Sprecherinnen der Kampagne für die 17 ist. »Wir werden nun prüfen, welcher Weg der beste ist, um die einzelnen Frauen noch freizubekommen. Wir werden bis zum Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof gehen.«

Nur zwei Frauen sind bislang durch die Kampagne freigekommen. Erstmals seit vielen Jahren wird aber wieder über reproduktive Rechte in El Salvador diskutiert. Und darüber, wie ungerecht die salvadorianische Gesetzgebung ist. Im Mai vergangenen Jahres hat der UN-Menschenrechtsrat in Genf El Salvador wegen des absoluten Abtreibungsverbots gerügt. Dieses verstoße gegen mehrere Menschenrechtspakte. Im Herbst 2014 gab es neuen Aufwind, als Amnesty International eine Kampagne für reproduktive Rechte startete und für das erste halbe Jahr El Salvador als Beispielland auswählte.

Auch sonst bekommt die Kampagne für die 17 internationale Unterstützung. Zahlreiche bundesdeutsche und europäische Abgeordnete haben sich in Briefen an das salvadorianische Parlament für die Freilassung der 17 eingesetzt. Auch Harald Petzold, Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg für die Linkspartei, setzt sich für die 17 ein. Ende Februar sprach er im Rahmen seiner Wahlbeobachtungsreise nach El Salvador mit einigen von ihnen im Gefängnis von Ilopango: »Es schnürt einem die Kehle zu, wenn man die verurteilten Frauen von ihren Schicksalen erzählen hört. Da sitzen einem Menschen gegenüber, die für Taten zu Haftstrafen bis zu 40 Jahren verurteilt wurden, die sie nie im Leben begangen haben. Eine Justiz mit menschlichem, gerechtem und rechtsstaatlichem Maß sieht anders aus. Ich werde mich dafür einsetzen, dass El Salvador langfristig sein restriktives Abtreibungsrecht liberalisiert und den Frauen kurzfristig Gnade gewährt wird.«

Die regierende linke FMLN, die das Thema lange Zeit nicht aufnehmen wollte, weil sie den Verlust von WählerInnenstimmen fürchtete, hat im Parlament geschlossen für die Begnadigung von Guadalupe Vásquez gestimmt. Auch Präsident Salvador Sánchez Cerén sprach sich im vergangenen Sommer für Gesetzesänderungen aus.

Doch die Kampagne hat einflussreiche Gegner. Neben der rechten Oppositionspartei ARENA sind dies die meisten Kirchen und sogenannte Lebensschützergruppen. Im »Diario de Hoy«, der größten Zeitung im Land, verbreiten sie regelmäßig ihre Lügen und schrecken auch vor den absurdesten Verleumdungen nicht zurück. Die Kampagne führe zu einem »Genozid an wehrlosen Kindern«. Selbst mit dem Holocaust oder den Massakern an ChristInnen in Syrien bringen sie die Kampagne in Verbindung.

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