Ölfass voran!

Young Fathers in Berlin

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Volksbühne, wo man, zum Leidwesen vieler, auch bei Popkonzerten, bei denen es etwas turbulenter zugeht, dazu genötigt ist, auf den fest im Theater installierten Sitzen zu verharren, kommt es praktisch so gut wie nie dazu, dass das - traditionell eher träge und übersättigte - Berliner Konzertpublikum aufsteht und zu tanzen beginnt. Doch am Sonntagabend, beim Konzert der schon länger von der Kritik gefeierten schottischen HipHop-Erneuerer Young Fathers, das den Abschluss des diesjährigen Torstraßenfestivals bildete, ist das geschehen: Nach dem dritten Stück hielt es kaum einen auf seinem Sitz, was nicht nur mit der Musik zu tun hat, einem krachig-robusten, vitalen Schlagzeug- und Percussion-Exzess, dessen musikalische Grundlage der Klang zweier Standtoms bildet, denen ein Schlagzeuger einen dumpfen, hallenden Klang entlockt, sodass man glaubt, hier werde auf alte Ölfässer eingeschlagen. Ein ebenso schroffer wie hypnotischer Voodoo-Lärm, unterlegt mit Synthie-Brummen. Und doch kann man, wenn man aufpasst, vergraben unter dem unwirschen Industrial-Gerumpel, freundliche Popmelodien entdecken.

Die Young Fathers, also die im Bühnenvordergrund einigermaßen entfesselt agierenden drei jungen Männer (zwei jeweils in Liberia bzw. Nigeria geborene Schotten, ein Bio-Schotte), überzeugten mit einer hingebungsvollen Live-Performance, von deren harscher Unmittelbarkeit sich das Publikum bereitwillig durchschütteln ließ. Auch an der Garderobe des Trios dürfen sich andere junge Menschen aus der HipHop-Szene gern ein Beispiel nehmen. Hier trägt man keine würdelosen Turnschuh- und Trainingsanzugsmonturen, sondern ordentlich gebügelte Oberhemden, die allerdings in kürzester Zeit durchgeschwitzt sind. Denn die drei Sänger und Musiker tanzten und wanden sich während ihres etwa einstündigen Konzerts wie in Ekstase.

»Wenn man nicht weiß, dass die aus Schottland kommen, könnte man annehmen, sie seien eine Art Kunstrap-Formation aus L.A.«, schrieb der britische »Guardian« einmal. Tatsächlich hat der mutig verschiedenste Sounds miteinander vermischende Avantgarde-Rap der Young Fathers trotz der manchmal an alte Motown-Soul-Klassiker aus den 60ern erinnernden Melodien eine recht finstere, düster-psychedelische Färbung und reproduziert an keiner Stelle die tausendfach durchgekauten Rap-Klischees. Passend dazu geht es in den Texten um Rassismus, scheiternde Kommunikation und gestörte zwischenmenschliche Beziehungen.

Den großen Musikkonzernen ist eine solche Musik zu wenig poliert, zu obskur, wohl auch zu politisch und zu düster. Dass diese vor kurzem noch als Außenseiter wahrgenommenen Experimental-HipHopper derzeit in aller Munde sind, kommt einem wie ein gelungener Schlag gegen die totalverödete Musikindustrie vor. Im Grunde hätte es also kaum eine Band geben können, die für einen Auftritt an diesem Ort gegenwärtig passender wäre.

Auf dem Dach der Volksbühne wehen derzeit zwei Fahnen, denen es gelingt, mit nur zwei Begriffen den Zustand der Marktwirtschaft zu umreißen: Auf der einen steht »Lüge«, auf der anderen »Krise«. Und auf einem Plakat neben dem Haupteingang liest man: »Fuck off«.

Young Fathers: »White men are black men too« (Big Dada)

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