Kein fester Boden unter den Füßen

Es gibt verschiedene Formen und Intensität von Flugangst. Doch man kann sie erfolgreich behandeln

  • Frank Ufen
  • Lesedauer: 5 Min.
Jeder kennt jemanden in seinem Umfeld, der schon beim Gedanken an eine Flugreise Panik bekommt. Warum das so ist, fand die Wissenschaft noch nicht heraus. Was man dagegen machen kann, schon.

Laut dem Institut für Demoskopie in Allensbach leiden 16 Prozent aller Deutschen unter Flugangst. Vermutlich macht einem Zehntel der Deutschen Flugangst dermaßen zu schaffen, dass sie noch nie geflogen sind oder fast alles in Kauf nehmen, um nicht fliegen zu müssen.

Wie Flugangst entsteht, ist nach wie vor nicht völlig geklärt. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass Frauen, die jahrelang als Stewardess arbeiten und sich in dieser Zeit in den Lüften völlig sicher fühlen, kaum dass sie ihren Beruf an den Nagel gehängt haben, mit Flugangst zu kämpfen haben. Flugangst ist demnach nicht auf zu geringe Flugerfahrung zurückzuführen. Ebenso wenig ist es schlüssig, Flugangst als die unmittelbare Folge traumatischer Flugerlebnisse zu begreifen. Denn die Zahl derjenigen, die einen Flugzeugabsturz überlebt haben, ist verschwindend gering, und etliche Flugängstliche haben noch nie ein Flugzeug von innen gesehen.

Flugangst entsteht auch nicht dadurch, dass Kinder sie durch Beobachtung von ihren Eltern, älteren Geschwistern oder anderen nahen Verwandten übernehmen. Dass die Massenmedien exzessiv und sensationslüstern über jedes Flugzeugunglück berichten, kann sie zwar vorübergehend verstärken, ruft sie aber nicht hervor. Eine ganze Reihe von Befunden deutet hingegen darauf hin, dass Flugangst und ihr jeweiliges Ausmaß zu einem beträchtlichen Teil genetisch bedingt sind.

Der Göttinger Mediziner und Angstforscher Borwin Bandelow hat einmal eine merkwürdige Erfahrung gemacht. Eines Tages fuhr er den Canadian National Tower in Toronto hoch. Auf über 340 Meter Höhe hat dieser Fernsehturm eine Plattform aus Panzerglasplatten. Von einem kleinen, nicht mit Teppichen bedeckten Bereich dieses Glasbodens aus ist es möglich, nach unten zu blicken. Sobald Bandelow diese transparente Fläche betrat, wurde ihm schwindlig. Entfernte er sich davon nur einen Schritt, verschwanden die Schwindelgefühle augenblicklich.

Offenbar, schlussfolgert Bandelow, gibt es im Gehirn ein archaisches Angstzentrum, das aus einer Zeit stammt, als es noch kein Glas gab. Dieses altsteinzeitliche Angstsystem rechnet immer mit dem Schlimmsten und lässt beim geringsten Anzeichen, dass es zu einem Absturz aus größerer Höhe kommen könnte, die Alarmglocken schrillen.

Laut Bandelow wird Flugangst im wesentlichen durch diese Gehirnregion hervorgerufen, die überhaupt nicht weiß, was Flugzeuge sind und die mit statistischen Wahrscheinlichkeiten ebenso wenig etwas anfangen kann wie mit rationalen Überlegungen. Wer unter Flugangst leidet und sie überwinden will, sollte also versuchen, diesen mächtigen Gegenspieler der Vernunft zu überlisten oder ihn vorübergehend auszuschalten. Bandelow unterscheidet fünf Formen der Flugangst. Da gibt es diejenigen, die einzig und allein von der Furcht geplagt werden, dass das Flugzeug abstürzen könnte, und die sich während des Fluges die düstersten Horrorszenarien in allen Einzelheiten ausmalen (Was würde passieren, wenn Zugvögel ins Triebwerk geraten würden? Was hätte es für Folgen, wenn das Flugzeug vom Blitz getroffen werden würde oder wenn Terroristen eine Bombe an Bord explodieren lassen würden?). Da gibt es des weiteren diejenigen, denen es generell schwer zu schaffen macht, wenn die Distanz zwischen ihnen und dem Erdboden allzu groß wird - so dass sie es als qualvoll empfinden, auf Brücken oder Türmen zu stehen oder in Skiliften, Seilbahnen oder eben in Flugzeugen zu sitzen. Andere, die ohnehin unter klaustrophoben Ängsten leiden, fühlen sich im Flugzeug oft dermaßen eingesperrt, beengt und eingeklemmt, dass sie Panikattacken auszustehen haben. Wieder andere sind schlicht überängstlich und leiden unter einer übersteigerten Angst vor allem, was ihnen in irgendeiner Hinsicht als gefährlich, riskant oder unberechenbar erscheint. Und schließlich sind da noch diejenigen, die im Flugzeug ganz plötzlich von körperlichen Beschwerden wie Herzrasen, Brustschmerzen, Benommenheit, Magenkrämpfe, Atemnot oder Taubheitsgefühlen befallen werden und die leicht in Panik geraten, weil sie dazu neigen, solche Beschwerden als Symptome eines Herzinfarkts, eines Schlaganfalls oder anderer akuter Erkrankungen zu deuten. Manchmal kommt noch die Angst hinzu, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren oder wahnsinnig zu werden. Tatsächlich sind solche Beschwerden nichts anderes als Flucht- oder Kampfeinstellungen des Körpers.

Mittlerweile lässt sich Flugangst gut therapieren - wobei die Therapie auf die Form und die Intensität der Angst zugeschnitten sein sollte. In leichteren Fällen ist es ohne weiteres möglich, sich selbst zu helfen - indem man nicht schon Stunden vor dem Flug am Terminal auftaucht, durch Entspannungsübungen und kontrolliertes Atmen, durch Ablenkungsmanöver, durch die Wahl des richtigen Platzes im Flugzeug, und indem man sich etwas flugtechnisches Wissen beschafft. In schwereren Fällen funktioniert die konfrontative Verhaltenstherapie eindeutig am besten. «Ein wichtiger Bestandteil dieser Methode ist die Konfrontation mit der angstauslösenden Situation. In den Anfangszeiten der Verhaltenstherapie ging man davon aus, dass man sich langsam an das gefürchtete Szenario herantasten muss, um die Furcht in kleinen Schritten zu überwinden. Bei einer Hundephobie würde man erst mit kleinen Möpsen kuscheln und dann mit immer größeren Exemplaren wie Bernhardinern Kontakt suchen. Später kamen die Therapeuten allerdings darauf, dass die »Überflutungsmethode« wirksamer ist. Es ist auch relativ klar, warum diese Hauruck-Strategie am durchgreifendsten wirkt: Das langsame Herantasten hat jeder Phobie-Betroffene ja schon unzählige Male selbst versucht - aber meistens ohne Erfolg. Und außerdem reagiert unser einfach gestricktes Angstsystem nur auf die Holzhammermethode. Wird dieses System nämlich immer wieder mit der gefürchteten Situation konfrontiert, »wächst nach und nach eine Hornhaut auf der Seele«, erklärt Borwin Bandelow.

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