Im Widerspruch zum Manifest

ND-Interview mit Oskar Lafontaine zur Programmatik der Linken

  • Lesedauer: 6 Min.
Zwei ernüchternde Landtagswahlen liegen hinter den Linken - Parteineubildung und Programmdebatte noch vor ihnen. Im Vorfeld des Landesparteitages der Linkspartei in Sachsen-Anhalt an diesem Wochenende ist in der Linken in Sachen Programmatik ein heftiger Streit entbrannt. Der entzündet sich an einem Leitantrag des Landesvorstandes, über den die Delegierten in Magdeburg zu entscheiden haben. Mit dem Ko-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Oskar Lafontaine, sprach Gabriele Oertel.
ND: Die Sachsen-Anhalter fordern realistische, finanzierbare, funktionale Konzepte und ein völlig neues Herangehen linker Politik. Kritiker sehen darin eine Verunglimpfung sozialistischer Positionen. Gehören Sie zu den Kritikern?
Lafontaine: Der Antrag steht in wesentlichen Fragen im Widerspruch zur Politik der Bundestagsfraktion und zu dem von Gregor Gysi, Lothar Bisky, Klaus Ernst, Katja Kipping, Felicitas Weck und mir vorgestellten Aufruf zur Gründung einer neuen Linken. Er vertritt im Gegensatz dazu eher Grundsatzpositionen des rechten Flügels der heutigen Sozialdemokratie, die nicht Grundlage der Politik der neuen gemeinsamen Partei werden können.

Inhaltliche Debatten sind für eine Partei, noch dazu für ein neues Parteienprojekt, ein gutes Zeichen. Sie selbst haben bei besagter Vorstellung des Manifestes dazu aufgerufen. Diskutieren die Genossen in Magdeburg nach Ihrer Meinung zu oberflächlich, zu akademisch oder in die falsche Richtung?
Ich begrüße Diskussionen, aber dieser Antrag geht in die falsche Richtung. Es heißt darin, die Globalisierung sei ein nicht umkehrbarer Prozess, der ein völlig neues Herangehen linker Politik erfordere. Diese Diktion kommt mir sehr bekannt vor. Nein, die Antwort auf kapitalistische Deregulierung ist nicht die Akzeptanz internationalen Lohn-, Steuer- und Sozialdumpings. Das ist die Kernposition der Neoliberalen. Aufgabe der Linken ist vielmehr, dieser Entwicklung zum Beispiel die Forderung nach einem Mindestlohn entgegenzusetzen. Ziel ist doch gerade, den jetzigen Verlauf rücksichtsloser kapitalistischer Expansion, einschließlich der Öl- und Gaskriege - Globalisierung genannt - umzukehren.

Im Antrag der Sachsen-Anhalter wird die Forderung eines Antikapitalismus mit nationalen etatistischen Vorzeichen als Tor zu Nationalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit charakterisiert. Fühlen Sie sich als Adressat der Botschaft?
Nein. Die Formulierung ist für mich allerdings eine unter Parteifreunden nicht hinnehmbare Entgleisung. Heute kann Antikapitalismus nur international verstanden werden. Wir brauchen eine Regulierung internationaler Finanzmärkte. Steueroasen müssen durch internationale Vereinbarungen ausgetrocknet werden. Hedge- Fonds gehören verboten. Natürlich haben antikapitalistische Konzepte heute internationale Dimension. In einer Zeit, in der 500 Konzerne die Weltwirtschaft kontrollieren, muss linke Politik antikapitalistisch sein und imperialistischen Kriegen konsequent Widerstand entgegensetzen.

Womöglich sind Sie ja Adressat einer anderen Magdeburger Formulierung, in der von Gefahren eines autoritären und personalisiert geführten Kampfes um die Meinungsführerschaft die Rede ist?
Ich kann damit wenig anfangen - allenfalls bestätigt das meine Beobachtung, dass Menschen, die ihre Meinung durchsetzen wollen, gern anderen vorwerfen, sie seien autoritär. Wichtig ist, dass wir sachbezogen argumentieren.

Also sachbezogen: Sie fordern, mit Privatisierungen, Sozialabbau und Personalabbau im öffentlichen Dienst unter der Ägide Linker in Regierungen Schluss zu machen. Geben Ihnen die jüngsten Wahlergebnisse, speziell für die Berliner PDS, zusätzlichen Rückenwind?
Ja. Das wird mittlerweile in der Berliner Linkspartei ähnlich gesehen. Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge ist die falsche Antwort. Es ist eine Illusion, darüber kommunale Haushaltsprobleme dauerhaft zu lösen. Die Gemeinden verlieren vielmehr demokratische Gestaltungsmöglichkeiten. Nahezu jeder Wohnungsprivatisierung folgt die Verdrängung sozial schwächerer Mieter. Wo privatisiert wird, steigen Preise, werden Arbeitsplätze vernichtet, verschlechtern sich Arbeitsbedingungen. Das gilt auch für Strom, Gas, Wasser, öffentlichen Nahverkehr.

Ergo ist das Mitregieren für Linke nicht erstrebenswert?
Es gibt zur Regierungsbeteiligung kein prinzipielles Ja oder Nein. Natürlich gehört zum Regieren immer auch das Eingehen auf Kompromisse. Die Frage ist, wo für Linke die Schmerzgrenze liegt, jenseits derer sie Regierungspolitik nicht mehr mittragen können. Wir brauchen klare Mindestbedingungen für Koalitionsbeteiligungen.

Kommunal- und Landespolitiker allerdings sehen sich oft ob Haushaltszwängen in auswegloser Situation. Sie waren lange auch in derlei Lage, als OB in Saarbrücken und Ministerpräsident des Saarlandes. Können Sie die Genossen nicht ein bisschen verstehen?
Nicht nur ein bisschen, sondern sehr gut. Deshalb vertrete ich ja auch nicht die Auffassung, dass in Zeiten der Unterfinanzierung aller öffentlichen Haushalte eine Regierungsbeteiligung nicht vertretbar wäre. Wenn die Kassen leer sind, muss der Schwerpunkt der Linken bei strukturellen Reformen liegen. Ein Beispiel ist die Schulpolitik. Wie in skandinavischen Ländern muss die vorzeitige Auslese der Kinder beendet werden. Beispielhaft sind auch Ansätze von Helmut Holter und Harald Wolf, vorhandene öffentliche Mittel zur Senkung der Arbeitslosigkeit zusammenzufassen und reguläre öffentliche Beschäftigung anzubieten.

Sie bezeichnen die Postionen der Genossen in Sachsen-Anhalt als neoliberal und eher dem rechten Flügel heutiger Sozialdemokratie zugehörig. Dabei wollen die doch nur, dass die Linke sich nicht über die Abgrenzung zur politischen Konkurrenz, sondern über den eigenen gesellschaftsverändernden Anspruch definiert ...
Den gesellschaftsverändernden Anspruch habe ich in diesem Leitantrag vergeblich gesucht. Die Feststellung, wir würden uns nicht in Abgrenzung zum politischen Gegner definieren, ist apolitisch. Wähler wollen, dass Parteien unterscheidbar sind. In der Ära der Hartz-IV-Parteien, die völkerrechtswidrige Kriege befürworten, muss es eine politische Kraft geben, die sich von den Irrwegen der deutschen Politik klar und erkennbar abgrenzt - die Linke.

Was erwarten Sie von den Parteitagsdelegierten in Sachsen-Anhalt im Umgang mit dem Antrag ihres eigenen Landesvorstandes?
Wenn der Antrag den Parteitag passiert, stellen sich die Delegierten in Widerspruch zu den Verfassern des Gründungsaufrufs. Der Konflikt wäre beizulegen, wenn der Antrag noch einmal überarbeitet würde. Sein Grundtenor steht auch im Widerspruch zu dem, was die große Mehrheit der WASG unter linker Politik versteht.

Der Zoff bei den Linken ist also programmiert?
Ich glaube nicht, dass es schwer ist, sich anzunähern - sobald man konkret wird. Was nützen akademische Diskussionen? Politik ist immer konkret. Der Antrag von Sachsen-Anhalt ist das aber nicht. Und wo er es ist, wie beim Steuerkonzept, ist er nicht auf dem aktuellen Stand der Diskussion. Das 2004 von den Landtagsfraktionen der PDS erstellte Steuerkonzept, auf das positiv Bezug genommen wird, wollte beispielsweise die Steuerfreiheit der Nacht- und Schichtzuschläge streichen. Das richtet sich gegen Arbeitnehmer und ist ein sicheres Rezept, Wahlen zu verlieren. Auch bei der Vermögenssteuer werden in der Bundestagsfraktion längst weitergehende Vorstellungen entwickelt. Interessanter wäre doch, wie die Linkspartei in Sachsen-Anhalt zu Initiativen der Bundestagsfraktion steht - zu Forderungen nach gesetzlichem Mindestlohn, der Abschaffung von Hartz IV, dem Verbot der Hedge-Fonds, Einführung eines Rechtes auf Generalstreik ...

Offenbar gibt es in der Linkspartei Ängste um die 16-jährige PDS-Identität und den Fortbestand ihrer Erfahrung in der neuen Linken. Können Sie das nachvollziehen?
Kann ich. Darauf muss man auch in sensibler Form Rücksicht nehmen. Aber die neue Linke wird eine gesamtdeutsche Partei sein, und davor muss man keine Angst haben.
Für mich ist für die neue Linke der nicht zu leugnende kulturelle und soziale Unterschied zwischen Ost und West nicht entscheidend - sondern die Trennung in Oben und Unten. In Ost und West müssen wir uns für Arbeitnehmer, Rentner, Hartz-IV-Empfänger und all diejenigen einsetzen, die die Verlierer der Politik der neoliberalen Parteien sind.
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