Ein wahrlich heißer Sommer
Sieben Tage, sieben Nächte: Gabriele Oertel über das Sommerloch und den medialen Krieg gegen die Griechen im Allgemeinen und deren Regierung im Besonderen
Große Ereignisse mit hoher journalistischer Ausbeute werfen ihre Schatten voraus. Auf Politik, Medien und die Konsumenten von beidem wartet ein wahrlich heißer Sommer - selbst wenn die Temperaturen nicht mitspielen sollten. Von wegen, überall im Lande beginnt die Ferien- und die in den Redaktionen gefürchtete Saure-Gurken-Zeit. Nicht einmal die Anfang Juli beginnende Sommerpause des höchsten deutschen Parlaments - eigentliche Blütezeit von Hinterbänklern und Stallwachen - verspricht 2015 so bizarre Sommerloch-Schlagzeilen, wie in anderen Jahren. Denn was sind schon einstige Aufreger, wie Mallorca als 17. Land der Bundesrepublik, ein Veggie Day oder die Ehe mit Ablaufdatum gegen die Fortsetzung des politischen wie medialen Krieges gegen die Griechen im Allgemeinen und deren Regierung im Besonderen.
Dass die Zeitung mit den vier großen Buchstaben der Kanzlerin in dieser Woche eine fiktive Regierungserklärung in den Block diktierte, mit der sie Athen endlich den Rausschmiss aus dem Euro erklären sollte, ist nicht der einzige Beleg dafür. Auch in den sogenannten seriöseren Medien werden dem Publikum alle Tage und beinahe zu jeder Stunde Diffamierungen diverser SYRIZA-Politiker in mundgerechten Häppchen gereicht.
Das muss aber auch nicht sonderlich verwundern, wenn die demokratisch gewählte Regierung in Athen von einem CSU-Generalsekretär kurzerhand zu »Faxenmachern« erklärt wird, der oberste Sozialdemokrat ungeniert die nationale Karte spielt oder der Kassenwart der Bundesregierung sich immer aufs Neue zum europäischen Zuchtmeister aufspielt.
Nein, dieser Sommer wird garantiert nicht so wie in anderen Jahren. Und nicht nur für die griechische Bevölkerung steht eine Menge auf dem Spiel. Auch für Angela Merkel. Die einen spekulieren munter über ein längst stattgefundenes Zerwürfnis mit ihrem Finanzminister. Andere über ihre bevorstehende Berücksichtigung des Grummelns in den eigenen Reihen und damit zwangsläufige Verabschiedung von den europäischen Visionen des alten Oggersheimers. Und die dritten rechnen unbeirrt damit, dass auch diese Kanzlerin auf ihren Platz in den Geschichtsbüchern schielt und deshalb eine Pleite für Griechenland wie die EU nicht riskieren will. Ganz abgesehen davon, dass sich für die erste deutsche Regierungschefin aus dem Osten am 3. Oktober die 25 Jahre Deutsche Einheit, einschließlich deren Billionen-Kosten, nur halb so gut feiern lassen würde, wenn an einem Bruchteil davon und durch ihr persönliches Mittun die europäische Einheit gerade gründlich vergeigt wird. oer
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.