Charité-Pfleger streiken los

Über 500 Beschäftigte forderten am ersten Arbeitskampftag bessere Personalausstattung

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der Frühschicht begann am Montag der unbefristeten Ausstand der Pflegekräfte in Europas größter Universitätsklinik. An diesem Dienstag wollen die Streikenden auf die Straße gehen.

Die ersten Zeichen des Arbeitskampfes finden sich vor dem Eingang der »Medizinischen Kliniken« in der Sauerbruchstraße. Dort stehen Tische und Bänke. Ein kleiner Pulk von Pflegern in Streikwesten hat sich versammelt. Auf dem restlichen Gelände des Charité-Standorts Mitte sind dagegen ganz normal Patienten, Studenten und Mitarbeiter unterwegs. Hier und da hängt ein Streikplakat, einige ver.di-Fahnen wehen an Laternenmasten.

Unter den versammelten Streikenden ist eine Operationsschwester aus der Allgemeinen Chirurgie. Sie ist seit 27 Jahren im Beruf und arbeitet an der Charité. Die Schwester streikt, weil sich die Arbeitsbelastung »immer weiter aufhäuft«. Ihr jüngerer Kollege, der seit vier Jahren an der Charité als Operationsassistent arbeitet, hält die Kapitalisierung des Gesundheitswesens für »grundfalsch«, auch wenn es bei der Charité nur um die Pflicht zu schwarzen Zahlen gehe. Der junge Mann weist das Argument des Charité-Vorstandsvorsitzenden Karl Max Einhäupl zurück, er könne auf die Forderung eines verbesserten Personalschlüssels nicht eingehen, das sei Sache der Bundes- und Länderpolitik. Einhäupl habe in seiner Funktion als Chef von Europas größtem Universitätsklinikum mehr politischen Einfluss, als er zugeben wolle, sagt der Operationsassistent.

Die Optimierungsversuche, bei denen das Personal hin- und hergeschoben wird, machen für den Fachpfleger den Eindruck, dass nach industriellen Maßstäben gearbeitet werden soll. »Gesundheit ist aber keine Ware. Viele in der Pflege sind immer noch idealistisch und hoch motiviert, sie bleiben länger, wenn es nötig ist - und das wird hier bewusst ausgenutzt.« Dass sie vorsätzlich Patienten gefährden, bestreiten beide Mitarbeiter der Charité: Auch sie gehen an diesem Vormittag wieder zurück auf ihre Station, die einen Notdienst aufrecht erhält.

Seit Montag gibt es auch eine Clearingstelle, in der täglich über die Einstufung von Notfällen entschieden wird. Rund 20 Stationen sind komplett geschlossen, in weiteren gibt es nur eingeschränkten Betrieb. Insgesamt 950 Betten, davon 118 in Intensivbereichen werden nicht belegt. Die Streikbereitschaft war schon vorab hoch, aber auch die Patienten reagieren gelassen. »Die uns bekannten Reaktionen der Patienten sind durchgängig positiv«, sagte die Streikleiterin des Campus Mitte, Dana Lützkendorf. Unterdessen solidarisierten sich auch viele Ärzte mit den Kolleginnen und Kollegen im Ausstand. Andere seien gegen Streiks in Krankenhäusern generell, hörte die Intensivpflegerin, und wollten das per Petition in die Politik einbringen. »Das geht gar nicht«, sagt die 38-Jährige. Bislang gebe es noch kein neues Angebot von der Charité-Leitung, also auch keinen neuen Verhandlungstermin. Nach einer Schlichtung im vergangenen Jahr wurde versprochen, 80 »Vollzeitäquivalente« neu zu schaffen - angekommen sei davon nichts. Das Krankenhaus weist in seinem Jahresbericht für 2014 in allen Personalgruppen außer dem ärztlichen Dienst sogar noch einen Abbau zum Vorjahr aus: Unter dem Strich gibt es sogar 91 Vollkräfte weniger. Entsprechend lehnten die Intensivpflegekräfte in diesem Jahr das Angebot ab, für ihren Bereich 60 neue Vollzeitstellen zu schaffen. Denn den besonders stressbelasteten Nachtdiensten nütze das gar nichts. Sie müssten weiterhin auf den Normalstationen mit zu wenig Personal auskommen. Streikleiterin Dana Lützkendorf sieht einen Spielraum ihres Arbeitgebers zugunsten des geforderten, verbesserten Personalschlüssels. Dafür spricht auch der Abschluss, den der Marburger Bund für die Ärzte der Charité erreichte: Für sie soll es in den nächsten beiden Jahren insgesamt vier Prozent mehr Gehalt geben, was unter dem Strich eine zweistellige Millionen-Summe ausmacht.

An diesem Dienstag wollen die Streikenden auf die Straße gehen. Treffpunkt ist um 15.30 Uhr am Standort Mitte.

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