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Vom Recht, »Nein« zu sagen

Ein Streiktagebuch aus Saarbrücken, zwölfter Teil

  • Sonja Ruf
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun ist die Einigungsempfehlung der Schlichtungskommission der Herren Milbradt und Schmalstieg bekannt. Vermutlich rechnen sich viele Kolleginnen aus den kommunalen Sozial- und Erziehungsdiensten gerade aus, wie viel ihnen das auf das Gehaltskonto »spült«. Viele werden sich fragen: »So wenig?« »Hat es sich dafür gelohnt?« »Soll ich damit für Jahre zufrieden sein?«

Vielleicht sollen wir ja schon dankbar sein, dass wir nicht wie die Postler abgewertet oder wie die »Schlecker«-Frauen alle arbeitslos werden, dass man uns überhaupt etwas gibt. Das, was die Streikenden immer wieder laut klatschend einforderten soll es jedenfalls nicht geben: eine generelle Aufwertung des gesamten schlecht bezahlten Berufsfeldes.

Ver.di Saar-Trier z.B. informierte per E-Mail, dass in der Behindertenhilfe erste Schritte zur Aufwertung vorgeschlagen worden wären. »Erste Schritte vorgeschlagen« – vorsichtiger geht es wohl kaum.

Wir streikten diszipliniert über Wochen für »einen Schritt in die richtige Richtung«? Für die Sozialarbeiter soll es »angesichts der harten Haltung der Arbeitgeber« nur kleine Verbesserungen geben – und auch nur für einen Teil der Beschäftigten.

Die Streikdelegierten werden sich an diesem Mittwoch treffen. Danach gibt es neue Verhandlungen. Zur Beschlussfassung zwischen den Gewerkschaften und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber soll es am Freitag kommen.

Aber wie, wo, wann haben wir, die wir gestreikt haben, unseren Streikdelegierten mitteilen können, ob wir einverstanden sind oder die Empfehlung der Schlichter ablehnen? Ablehnung bedeutete erneuten Streik in den Sozial- und Erziehungsdiensten.

Das scheint ver.di nicht zu wünschen. Soviel glaube ich der verhalten positiven Bewertung der Schlichtungsempfehlung entnehmen zu können. Da dies mein erster Streik ist, weiß ich nicht, ob das Verfahren, die Streikenden, die Basis, bei der Annahme oder Ablehnung der Schlichterempfehlung nicht zu hören, üblich ist. Sehr demokratisch kommt es mir nicht vor.

Da auch jetzt wie in der Frage der Schlichtung die Basis nicht gefragt wird (wozu es für die Schlichtung nachvollziehbare Begründungen gab), frage ich mich, ob ehrlich mit uns umgegangen wird. Muss ich mich fragen, warum der Streik in den Sozial- und Erziehungsdiensten ausgesetzt wurde, als der Streik in der Post begann.

Ein gewisses Verständnis hätte ich, wenn das Geld in der Streikkasse nicht für mehrere Arbeitskämpfe zur selben Zeit ausreicht, oder wenn die Funktionäre es nicht schaffen, alle zu bedienen, denn auf den Kundgebungen der Postler sprechen zum Teil die selben Redner wie auf denen der Erzieher.

Aber vielleicht geht es auch um anderes, um die Nähe zur Regierung zum Beispiel. Darum, dass das System nicht in Frage gestellt wird, dass die schreckhaften Zocker an der Börse nicht durch das Gespenst des Generalstreiks geängstigt werden.

Zu Anfang standen starke Worte: »Unbefristeter Erzwingungsstreik« und ein Votum von 94 Prozent in der Urabstimmung. Die meisten Kolleginnen nahmen den Streik sehr ernst, von Tag zu Tag ernster, bis dann in Köln die Basis entschlossener wirkte als die Leute, die von der Bühne herab sprachen.
Jetzt könnten wir das Gefühl bekommen, in einem für uns undurchschaubaren Spiel nützliche Idioten gewesen zu sein. Die Streikenden und die Eltern müssten sich das dann fragen.

Haben wir denn das Recht, »Nein« zu sagen?

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