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Geheimnisse

Waldtraut Lewin nannte sich als Kind Corelli

  • Christel Berger
  • Lesedauer: 2 Min.

Unter den vielen Werken, die Waldtraut Lewin bisher geschrieben hat, ist dieses Buch ein ganz besonderes: die als Geschichtenfinderin bekannte Autorin erzählt diesmal Autobiografisches. 1937 geboren, wächst ein Mädchen auf in der Zeit von Bombenangriffen und Entbehrungen. Der Großvater hat gegenüber der Großmutter und der Mutter - allesamt wohnen sie in einem Haushalt - das Sagen. Fast leben sie im Verborgenen. Selten gehen die Frauen auf die Straße, meist sind die Vorhänge zugezogen, nie werden Feste gefeiert, kein Besuch kommt.

Friedchen - sie nennt sich insgeheim Corelli - spürt Geheimnisse. Sie wird damit die ganze Kindheit über leben. Denn der Großvater hatte sein ganzes Geld ausgegeben für einen arischen Ahnenpass. Das darf nicht auffliegen, deshalb nimmt der Hausherr Funktionen bei den Nazis an, deshalb singt die Mutter Lieder und Opernarien nur noch in der Wohnung. Corelli ist sensibel, oft krank und voller Fantasie. Sie spinnt sich ein in Geschichten, verschlingt Bücher auf dem Dachboden, denkt sich eine Welt von Rittern und anderen Helden. Dann wird ihr Haus von einer Bombe zerstört. Der Familie geht es wie anderen »Ausgebombten«. Man zieht zeitweise zu einer Verwandten auf das Dorf. Die Dorfkinder sind anders, doch Corelli spielt mit ihnen Historienspiele ...

Es kommt die Schule, und es kommt das Ende der Nazis. Die Besatzer lösen einander ab. Viel besser geht es der Familie nicht. Der Großvater muss sich entnazifizieren lassen, darf selbstständig kein Geschäft betreiben. Die Not ist groß. Pilzesammeln, Schwarzmarktgeschäfte, neue, andere Wohnungen, neue Geheimnisse.

Das ist ein eigenartiges Buch. Ein Schweben liegt über dem Ganzen. Wer die manchmal auch deftigen Geschichten der Lewin gewohnt ist, staunt über den feinen Zauber, mit dem der harte Kriegs- und Nachkriegsalltag umhüllt ist. Ein Spagat zwischen Realität und Traumwirklichkeit, zwischen Dazugehören und Anders-Sein. Die Alltagsdetails stimmen und wecken in den Zeitzeugen Erinnerungen. Und gleichzeitig geht es um ein Erwachen, das dem Traum und Spiel und dem Geheimnis des Ungesagten und doch Gefühltem verbunden bleibt. Auch das sexuelle Suchen gehört dazu. Vielleicht endet das Buch zu früh, man will wissen, wie es weitergeht.

Waldtraut Lewin: Das Beiderwandkleid. 175er-Verlag. 388 S.,geb., 25 €.

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