Egoistengipfel
Uwe Kalbe über die zögerliche Aufnahme von 60 000 Flüchtlingen
Menschen sterben auf der Flucht, und die Regierungschefs der EU haben ein Problem. Dass Flüchtlinge sterben, ist nicht automatisch ein Problem für sie, das tun diese andauernd. Aber jetzt ist ein Maß des Sterbens erreicht, das die übliche Kollateralschadenslogik sprengt. Das Sterben erreicht die Selbsterhaltungslogik der Politik. Menschen in den eigenen Ländern, Wähler nicht zuletzt, werden unruhig, erwarten Antworten. Antworten, auf die niemand eingerichtet ist.
Zu schwarz gemalt? Zynisch? Es hätte doch zu der schrecklichen Lage der Flüchtlinge beiderseits des Mittelmeers nie kommen dürfen. Die EU-Verantwortlichen ignorieren seit Jahren, dass Fluchtgründe sich türmen, ignorieren das Sterben. Sie machten sich der Zerschlagung oder der Beihilfe zur Zerschlagung unliebsamer staatlicher Strukturen wissentlich schuldig. Und sie spannten ein Netz zur juristischen und polizeilichen Abwehr von Flüchtlingen, um ihre Länder vor den Folgen des Elends zu schützen. Sich!
Das Netz hat einen Konstruktionsfehler. Es war drapiert mit Paragrafen des Flüchtlingsrechts und des Menschenrechts, um seinen grausigen Charakter zu verbergen. Jetzt, da es sich spannt unter dem Druck der Verzweifelten, platzt die Tarnung ab. Das eigentliche Konstruktionsmaterial ist purer Egoismus. Dieser, nicht etwa Mitgefühl, war es auch, der in Brüssel die Contenance der EU-Vertreter in Gefahr brachte. Quoten, Freiwilligkeit, Belastung - Egoismus hat viele Namen. Als nächstes wollen sie Schleuser jagen, das können sie besser. Am Sterben wird das nichts ändern.
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