Ein Genozid im Konjunktiv

Bedauern ohne Konsequenzen: Wie Deutschland mit dem Völkermord an Herero und Nama umgeht

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch 2012 sprach auch die SPD von einem »Völkermord« an den Herero und Nama. Doch inzwischen vermeidet auch das SPD-geführte Außenamt diesen Ausdruck.

Dass sich die Debattenlage in der Kolonialfrage in den vergangenen Jahrzehnten immerhin ein wenig bewegt hat, lässt sich auf dem Berliner »Garnisonsfriedhof« erkennen. In einer schattigen Ecke findet sich ein kleiner Findling, der an das haarsträubendste Verbrechen der deutschen Übersee-Kolonialgeschichte erinnern soll - den Genozid an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia.

Auf dem Stein, der 1973 auf Initiative einer »Afrika-Kameradschaft Berlin« von einem Kreuzberger Kasernengelände dorthin versetzt wurde, wird nicht etwa der Zehntausenden anonymen Opfer gedacht, sondern an den »Heldentod« von sieben namentlich aufgeführten Mitgliedern eines Berliner Regiments erinnert, die »am Feldzuge in Süd-West-Afrika freiwillig teilnahmen«. Erst 2009 wurde vom Neuköllner Bezirksamt eine Tafel hinzugefügt, die der »Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884 - 1915« und »insbesondere des Kolonialkriegs von 1904 - 1907« gedenkt.

Wie präsent diese Geschichte in Namibia bis heute ist, verrät schon der Name von Ida Hoffmann, einer Vertreterin der Nama, die dieser Tage im Rahmen einer Delegation in Berlin weilt, um anlässlich des 100. Jahrestages des Endes von »Deutsch-Südwest« daran zu erinnern. In Deutschland dagegen spielt der Genozid kaum eine Rolle - und bei allem Bedauern haben sich verschiedene Bundesregierungen bis heute um das Wort Völkermord gedrückt. Denn dieses Wort hätte womöglich Folgen - auch finanzielle.

Wie virtuos dabei zuweilen operiert wird, zeigt der Umgang mit einer Rede, die die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) 2004 auf Englisch in Namibia hielt. Aus einer jüngst beantworteten Anfrage der Grünen geht hervor, dass Wieczorek-Zeul dabei wohl im Indikativ von einem »Genozid« sprach. In den deutschen Akten findet sich allerdings folgende Konjunktivfassung: »Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde« - ein feiner, bezeichnender Unterschied.

Die Opposition hat nun ihre Forderung nach einer Benennung als Völkermord bekräftigt. Die »Kriegsverbrechen, Vertreibungen und Massenvernichtungen (...) waren Völkermord«, heißt es in einem Antrag von Niema Movassat und anderen LINKE-Parlamentariern, der auch die »Wiedergutmachungsfrage« als einen »wichtigen Bestandteil des Versöhnungsprozesses« nennt. Schon 2012 hatte die LINKE einen ähnlichen Antrag gestellt. SPD und Grüne hatten damals einen Antrag eingebracht, der eine Benennung als »Völkermord« forderte, das Thema Wiedergutmachung aber vermied. Der CSU-Mann Wolfgang Götzer dagegen sagte damals, die UN-Völkermordkonvention gelte in Deutschland erst seit 1955 und »nicht rückwirkend«.

Dieses zynische Argument wird regierungsseitig inzwischen nicht mehr geäußert. Dennoch drückt sich das SPD-geführte Außenministerium weiterhin um den »Völkermord«. Man habe 2014 einen »Dialogprozess begonnen«, der »erstmals auch die Suche (...) nach einer gemeinsamen Sprache in Bezug auf den grausamen Kolonialkrieg« beinhalte, heißt es schwammig in der Antwort auf die Grünen-Anfrage. Sehr klar ist dort der Standpunkt aber in einer anderen Frage: »Die Bundesregierung sieht keine völkerrechtliche Grundlage für namibische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland.« An diesem Punkt ist auch der Appell »Völkermord ist Völkermord«, zu dessen Erstzeichnerinnen auch Wieczorek-Zeul gehört und dessen erste Unterschriften am Montag dem Bundespräsidialamt übergeben wurden, offen formuliert. Dort wird lediglich aufgerufen, »sich zu einem bedingungslosen und offenen Dialog über Versöhnungsmaßnahmen mit den Nachfahren der Genozidopfer und mit der namibischen Regierung bereit zu erklären«.

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