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Freital hat’s mit Reden versucht

Bürgerversammlung zum Thema Asyl führt zu Bedrohungen von Flüchtlingsunterstützern

  • Johannes Richter, Freital
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Veranstaltung zur Asylunterkunft in Freital verlief selten sachlich. Pöbeleien und Zwischenrufe prägten den Abend.

Schon eine Stunde vor Beginn der Bürgerversammlung im sächsischen Freital warteten am Montag knapp 20 Menschen auf den Einlass. Darunter einige Personen, die in den Wochen davor rassistische Parolen vor der örtlichen Asylunterkunft gerufen hatten. Mit der »Lügenpresse« wollte fast niemand reden, nur vereinzelt äußerten sich Menschen vor Fernsehkamaras. Sie beschwerten sich über »Berufsdemonstranten« und »Demotouristen« von der »Antifa«, die in den letzten Wochen dafür gesorgt hätten, dass Freital nun um seinen Ruf fürchte. Kein Wort von dem Angriff auf Antifaschisten mit einem Baseballschläger, den rassistischen Gesängen oder den Böllern aus den Reihen der Flüchtlingsgegner, die vor dem ehemaligen Hotel detoniert sind.

Die Menge derer, die ins Kulturhaus wollten, wuchs schnell an und drängte zum Eingang, wo eine Ausweiskontrolle wartete: Die Veranstaltung war nur für Freitaler Bürgerinnen und Bürger zugelassen. Die Einlasskontrollen führten dazu, dass Flüchtlingssozialarbeiter aus Freital erst nach Diskussionen in den Saal gelassen wurden. Dort war die Stimmung schon vor Beginn der Veranstaltung unruhig. Vor dem Haus warteten noch weitere Einwohner, die nicht mehr ins Kulturhaus passten.

Gegen 20 Uhr trat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) durch eine Hintertür in den Saal und nahm vorne am Podium Platz. Kurz darauf eröffnete Freitals Erster Bürgermeister Mirko Kretschmer-Schöppan (parteilos) die Versammlung mit den Worten: »Die Veranstaltung soll dazu dienen, den Ruf Freitals wieder aufzupolieren.« Er entschuldigte sich für die zu kleinen Räumlichkeiten und kündigte eine Folgeveranstaltung an. In der Menge brach daraufhin Gelächter aus, begleitet von hämischem Klatschen. Als Moderator Justus Ulbricht von der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen inhaltlich einleiten wollte und dafür Innenminister Ulbig das Wort erteilte, eskalierte die Situation. »Sind die auf dem Podium überhaupt Freitaler?«, »Nein - Das Volk steht draußen«, »Ulbig soll sich verpissen« schallte es durch den Saal. Ulbricht brauchte Minuten, um die Situation etwas zu beruhigen. Weitere Zwischenrufe und Pöbeleien konnte er aber den ganzen Abend über nicht unterbinden. Ulbig sprach anschließend von der Herausforderung, die die steigenden Flüchtlingszahlen für alle bedeuten und betonte, dass Freital nur als Übergangslösung vorgesehen sei. In den Städten Leipzig, Chemnitz und Dresden würden bis Ende 2016 große Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen und damit Freital als Zwischenlösung ausgedient haben.

Im Anschluss wurde der Raum für Fragen aus dem Publikum geöffnet. Meist wurden den Fragen jedoch ausführliche Beschwerden über die Zustände vor der Asylunterkunft vorangestellt. Es waren immer die gleichen Vorwürfe: »Die schmeißen ihren Müll einfach aus dem Fenster«, oder der Lärm der Flüchtlinge führe dazu, dass »Tag und Nacht kein Auge zugemacht werden kann«. Auch die Fragen ähnelten sich: »Wo das Geld herkomme« oder »was mit kriminellen Asylanten gemacht werde«.

Als eine Sprecherin der Initiative für Weltoffenheit und Toleranz versuchte das Wort zu ergreifen, wurde die Lage bedrohlich. Die Flüchtlingsunterstützerin wurde beleidigt, bedroht und es wurde versucht, sie vom Mikro wegzudrängen. Moderator Ulbricht forderte zwar die Menge auf, »Handgreiflichkeiten zu vermeiden«, wies jedoch auch die Aktivistin darauf hin, sich doch bitte kurz zu fassen. Schlussendlich schaltet sich auch die Security ein und schickte die Frau wieder auf ihren Stuhl. Eine Frage oder Gegendarstellung zu den rassistischen Vorurteilen, konnte sie nicht abgeben. Zum Ende der Veranstaltung zeigte sich ein Vertreter der Initiative bestürzt über die Stimmung im Saal: »Ich hab die Gewalt gespürt und Angst gehabt, dass ich eine fange.« Um ihn und weitere Unterstützer bildete sich ein Traube, sie wurden abgefilmt und Kommentare wie »dein Gesicht merk ich mir« oder »die bekommen wir auch noch« fielen.

In Freital konnten die »besorgten Bürger« ihre »Ängste und Sorgen« äußern. Um über die Situation von Flüchtlingen aufzuklären und mit Klischees aufzuräumen, dafür war im Kulturhaus aber kein Platz.

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