Steuerzahlerschelte

Bundesverein übt sich in neoliberalen Zahlenspielen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu den Gedenktagen der eher obskuren Art gehört zweifellos der »Steuerzahlergedenktag«, den der Bund der Steuerzahler (BdSt) in diesem Jahr auf den 11. Juli legt.

Laut Berechnungen des Steuerzahlerbundes hat der durchschnittliche deutsche Steuerbürger seit Jahresbeginn bis zum 11. Juli ausschließlich für sein Steueraufkommen, gesetzliche Versicherungsbeiträge und Zwangsabgaben gearbeitet. Das entspräche einer Abgabenquote von 52,4 Prozent. Am Donnerstag nutzte der BdSt den bevorstehenden »Gedenktag« in Berlin zur Propagierung seiner Forderung nach »spürbaren Entlastungen«.

In der Lesart des Vereins haben Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen »kein Einnahme- sondern ein Ausgabenproblem«, wie BdSt-Präsident Reiner Holznagel betonte. Auf der aktuellen Streichliste werden unter anderem die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Kappung der Grund- und Grunderwerbssteuer, sowie die Senkung der Stromsteuer gefordert. Bereits seit Jahrzehnten zieht der Verband zudem gegen die so genannte kalte Progression zu Felde, die bei Durchschnittsverdienern Einkommenszuwächse schmälert. Zur Gegenfinanzierung sieht der Verein allein im Bundeshaushalt Einsparpotenziale von 20 Milliarden Euro, beispielsweise bei der Forschungsförderung, der Klimaschutzpolitik, der Personalausstattung, den Zuschüssen zur Sozialversicherung und zum Bafög sowie den Mitteln für den regionalen Schienenverkehr. Gefordert werden ferner »strengere Bedürftigkeitsprüfungen« für die Empfänger von Wohngeld, Kinderzuschlägen und anderen Transferleistungen. Topaktuell wurde die Liste am Montag mit der Ablehnung weiterer Hilfszahlungen an Griechenland und der Warnung vor desaströsen Folgen der neuen Erbschaftsteuer von Unternehmen angereichert.

Ergänzt wird dieser eher wirre, neoliberale Horrorkatalog durch Vorschläge der 15 Landesverbände des föderal organisierten Vereins. So prangert der Landesverband Hamburg an, dass Steuergelder für einen »Flecken Erde, auf dem das Rechtsstaatsprinzip nicht gilt«, verschwendet werden. Gemeint ist das alternative Kulturprojekt »Rote Flora«, dessen Grundstück der Hamburger Senat nach langen Auseinandersetzungen dem Zugriff von Spekulanten durch Rückkauf entzog. In Berlin sind unter anderem Baumaßnahmen zur Verkehrsberuhigung und die Neugestaltung einer innerstädtischen Parkanlage im Visier. Zusammengefasst werden die Dokumentationen von »Steuerverschwendungen« in einem jährlich erscheinenden »Schwarzbuch«, welches sich in einschlägigen Politik- und Medienkreisen stets großer Beliebtheit erfreut. Nicht selten wird der BdST in Parlamentsdebatten auf allen Ebenen als eine Art Kronzeuge für unsachgemäßen Umgang mit Steuergeldern zitiert. In dem Periodikum finden sich auch berechtigte Vorwürfe an Behörden und finanzpolitische Entscheidungsträger. Doch die vorherrschenden Denkmuster sind vor allem dann unverkennbar, wenn es um Sozialleistungen geht.

Holznagel, der früher hauptamtlich für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern tätig war, sieht die Legitimation für seinen Verein nicht nur in den angeblich über 250 000 Mitgliedern, sondern vor allem in Umfragen. Demnach empfinden 82 Prozent der Bevölkerung die Steuer- und Abgabenlast als zu hoch. Dem müsse politisch Rechnung getragen und vor allem Transparenz geschaffen werden. Mit Letzterem nimmt es der BdSt allerdings nicht so genau. Die von ihm errechnete Abgabenquote von 52,4 Prozent bezieht sich nicht - wie in allen volkswirtschaftlichen Berechnungen üblich - auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP), sondern auf ein sogenanntes Nettonationaleinkommen aus Löhnen, Pensionen und Gewinnen. Rund ein Drittel des BIP und die daraus resultierenden Steuereinnahmen fallen bei dieser Berechnungsweise schlicht unter den Tisch. Die Abgabenquote beträgt denn eigentlich auch 39,3 Prozent, was dem BdSt wohl nicht plakativ genug ist.

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