Leseprobe

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Was bleibt von Lukács?

Dieser Sammelband mit Studien über »Geschichte und Klassenbewusstsein« erscheint beinahe ein Jahrhundert nach der ersten Veröffentlichung von Lukács’ berühmtem Opus. Wie immer nach hundert Jahren stellt sich auch hier die Frage, ob Lukács’ Buch es noch wert ist, es zu lesen, ob die in diesem Buch formulierte Diagnose und dessen Standpunkt auch heute noch aktuell sind oder wenigstens zum Verständnis unserer Welt beitragen.

Die Autoren des Sammelbandes geben verschiedene Antworten auf diese Fragen. Obwohl sie ausnahmslos Lukács’ politischen Standpunkt für die heutige Welt als gänzlich irrelevant einschätzen, sind sie nicht einig, was die Frage betrifft, ob Lukács’ Gesellschaftsanalyse zu seiner Zeit treffend war und ob sie - mit einigen Modifikationen und Variationen - auch heutzutage treffend bleibt. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Interpretationen einiger Lukács’scher Grundbegriffe wie Verdinglichung, Entfremdung und Warenfetichismus, Begriffe, die auch in der Ideologie der Neuen Linken eine außerordentlich wichtige Rolle spielen...

Lukács’ hat seine eigene Erlösung im Kommunismus gefunden und war überzeugt, dass seine persönliche Erlösung mit der Erlösung der Welt zusammenfallen werde (müsse). Das ist nicht meine Interpretation, sondern seine. Über »Geschichte und Klassenbewusstsein« sprechend bemerkte er (durchaus selbstkritisch), dass er mit diesem Buch der Heilige Augustinus des Kommunismus hatte werden wollen. Er hatte geglaubt, dass der Kommunismus wie einst der Katholizismus die Welt erobern würde, und er wollte der Erste sein, der die theoretischen, dogmatischen Grundlagen dieser neuen Weltreligion formulierte ... Viel später sprach Lukács’ in »Mein Weg zu Marx« in beinahe demselben Sinn, im Sinne der Aletheia, der Aufdeckung der Wahrheit, diesmal jedoch nur als von seiner persönlichen Erlösung (vom Kopfschmerz, von bürgerlicher Dekadenz, von Unsicherheit, von Irrwegen), ohne die Verheißung der Welterlösung.

Aus dem Vorwort des Herausgebers Hanno Plass zum Sammelband »Klasse - Geschichte - Bewusstsein. Was bleibt von Georg Lukács’ Theorie?« (Verbrecher Verlag, 317 S., br., 20 €).

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