Gute Nachbarschaft?

Berliner Europapolitik in Krisenzeiten ist vor allem deutsche Euro- und Austeritätspolitik - und dafür sieht sich der Finanzminister als zuständig an

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Volker Zastrow hat in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« den umstrittenen Griechenland-Kurs der Bundesregierung als einen »großen Erfolg unserer Außenpolitik« bezeichnet. Das ist vordergründig deshalb interessant, weil das harte, an Austerität und neoliberalem EU-Verständnis orientierte Vorgehen Berlins nicht nur von links in die Kritik geraten ist, sondern auch im Ausland weithin als auf Vormacht in Europa pochende Anmaßung kommentiert wurde.

Die deutsche Außenpolitik, das ist die Linie, die Zastrow verfolgt, bleibe »dank Merkel und Schäuble und ganz klar auch dank Vizekanzler Sigmar Gabriel ihrer Nachkriegstradition der guten Nachbarschaft treu«. Das sehen viele mit guten Argumenten anders. Die Bundesregierung hat die deutsche Vormachtstellung in Europa mit einer radikalen Strategie absichern können und mit der Grexit-Drohung eine Situation geschaffen, in der es beinahe als Glück erschien, dass Athen enorm harte Auflagen erfüllen »darf« – statt aus dem Euro geworfen zu werden. Das war auch bei den Nachbarn auf Empörung gestoßen. Italiens Premier Matteo Renzi hatte es so formuliert: »Und zu Deutschland sage ich: genug ist genug.«

Zastrows Einschätzung wirkt aber auch auf den zweiten Blick seltsam, nämlich: weil hier von »Außenpolitik« die Rede ist - der zuständige Bundesminister aber praktisch in Sachen Griechenland keine Rolle spielte. Frank-Walter Steinmeier war weder auf dem krisenpolitischen Parkett aktiv, noch spielte er in der deutschen Öffentlichkeit eine maßgebliche Rolle. Der Außenamtschef hielt sich praktisch die ganze Zeit über im Windschatten der von Zastrow genannten Krisen-Troika aus Kanzlerin, Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzendem - mit Blick auf Europa wurde die »Außenpolitik« von diesen dreien gesetzt, und das nicht immer im Einvernehmen.

Im Koalitionsvertrag heißt es zur »europapolitischen Koordinierung«, dass im Sinne einer »bestmöglichen Vertretung deutscher Interessen auf europäischer Ebene« die Bundesregierung »ein geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern und Institutionen sicherstellen« wolle - und zwar durch Abstimmung unter »Beibehaltung der bewährten Zuständigkeitsverteilung«. Entscheidend sei dabei die Fachzuständigkeit der Ressorts: Merkel mit der Richtlinienkompetenz, Gabriel als Leiter des Wirtschaftsministeriums, Schäuble für das Finanzressort. Das liegt einerseits nahe, wenn man betrachtet, was in den Verhandlungen mit Griechenland und im Streit um die europäische Krisenpolitik auf der Tagesordnung stand und steht.

Allerdings sieht es Steinmeiers Auswärtiges Amt auch als seine Aufgabe an, »dafür zu sorgen, dass Deutschland in der Europapolitik kohärent auftritt. Das wichtigste Koordinierungsgremium ist der Staatssekretärsausschuss für Europafragen. Hier werden grundlegende europapolitische Fragen und wichtige EU-Angelegenheiten von ressortübergreifendem Interesse geklärt.« Den Eindruck, dass aus dieser Richtung maßgebliche Impulse für die Griechenland-Politik der Bundesregierung kamen, konnte man in den vergangenen sechs Monaten seit dem Wahlerfolg von SYRIZA gleichwohl nicht gewinnen.

Steinmeier selbst schien sich auch gar nicht groß in den Vordergrund stellen zu wollen. Nach dem Brüsseler Gipfel erklärte er, die dort der griechischen Seite abgepresste Einigung sei ein »Beweis dafür, dass Europa einig, solidarisch und rational handeln kann«. Am Tag nach der Griechenland-Wahl wurde er mit mit dem konditionierten Angebot zitiert, Athen könne auf weitere Zusammenarbeit hoffen, wenn die neue Regierung zu den getroffenen Vereinbarungen stehe. Das war damals (und ist es heute noch) gewissermaßen der deutsche Grundton gegenüber SYRIZA, der damit praktisch bestritten wurde, nach einer demokratischen Wahl einen anderen Kurs einzuschlagen. Versuche der Athener Regierung, wenigstens kleine Spielräume für sich zu nutzen (dabei wolle man im Ganzen die Vereinbarungen einhalten), wurden von den Eurogruppe abgewehrt.

Hierin liegt wahrscheinlich ein entscheidender Punkt: Zentrale europapolitische Fragen werden von der informellen und keinen Regeln unterworfenen Runde der europäischen Finanzminister gelenkt, wobei zumindest die griechische Seite den Eindruck gewonnen hat, dass diese unter dem lenkenden Einfluss des Ressortchefs aus Berlin steht. Der Entwurf der Gipfelerklärung, der maßgeblich von deutschen Vorschlägen gekennzeichnet war, blieb auch auf dem Brüsseler Gipfel in weiten Teilen praktisch unverändert. Europapolitik in Krisenzeiten ist offenbar vor allem deutsche Euro- und Austeritätspolitik - und dafür sieht sich der Finanzminister als zuständig an, bei allen kleineren Differenzen mit Rückendeckung der Kanzlerin.

Die Position - besser: die Nicht-Position Steinmeiers hat freilich noch eine innersozialdemokratische Dimension. Parteichef Gabriel hat in klarer Absetzung zur früheren Erklärungen, etwa im Europawahlkampf 2014, die SPD krisenpolitisch radikalisiert - weg von einer Haltung, die bloße Austerität als schädlich betrachtete und einen wenigstens in grenzen alternativen europäischen Rahmen dafür setzen wollte. Man erinnert sich an gemeinsame Auftritte mit Francois Hollande zu Zeiten von dessen Wahlkampf zur Präsidentschaft in Frankreich, als er mit Gabriel in Berlin von der europapolitischen Kurswende schwadronierte.

Steinmeier hat sich in dieser Frage kaum exponiert, vielleicht auch deshalb nicht, um sich gegebenenfalls von Gabriel ohne eigene Beschädigungen absetzen zu können. Die Erklärungen zur Griechenland-Politik folgten in der Regel den zum Teil überraschenden Vorgaben und Wendungen des SPD-Vorsitzenden. Als die Athener Regierung das Referendum über die Gläubigerpolitik ausrief, äußerte sich Steinmeier zunächst positiv zur Abstimmung - um dann innerhalb weniger Stunden durch die Korrektur einer Interviewantwort das Gegenteil zu behaupten. Begründet worden war das Ende Juni auch damit, dass niemand in der SPD-Spitze wirklich im Bilde war, wie es zuvor in den Brüsseler Verhandlungen wirklich stand.

Schaut man sich die Äußerungen Steinmeiers und seines für Europa zuständigen Staatsministers Michael Roth zur Griechenland-Frage an, fällt auf, dass es vorrangig um die Form von Politik geht - nicht deren Inhalt. Roth etwa, der für die Bundesregierung den Kontakt zur griechischen Regierung hielt, sprach der Koalition in Athen Anfang des Monats Professionalität ab - und hielt sich sonst an diplomatische Floskeln. Da, wo es einmal um das Wesen der Krisenpolitik geht, antwortete Roth dem Sender ntv mit der Bekräftigung einer Position, die sonst in Berlin gar nicht verfolgt wurde: Es bleibe dabei, so der Staatsminister mit Blick auf den seiner Auffassung nach nötigen Politikmix, den die SYRIZA-geführte Regierung umsetzen müsse: »Ohne weitreichende Strukturreformen, ohne massive Investitionen in Wachstum und Beschäftigung und ohne ein Mindestmaß an Haushaltskonsolidierung geht es nicht voran.«

Abgesehen von den »Strukturreformen« kennzeichnen weder massive Investitionen in Wachstum und Beschäftigung die Berliner Krisenpolitik noch geht es bei der Athen abverlangten Etatsanierung um ein »Mindestmaß« - was die Gläubiger von Griechenland verlangen, reicht über ein ökonomisch und sozial verträgliches Höchstmaß deutlich hinaus. Von einer »Kapitulationsurkunde« spricht der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis, Premier Alexis Tsipras selbst glaubt auch nicht an den Erfolg der umstrittenen Auflagen - hat sich aber angesichts der unabsehbaren Konsequenzen eines möglichen Grexit dafür entschieden, diesen Weg zu gehen.

Volker Zastrow hat in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« Schäubles Grexit-Drohung verteidigt - als »Gebot der Staatsklugheit«, weil »die Möglichkeit eines geordneten temporären Grexit« so der Gefahr eines ungeordneten Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gegenübergestellt worden sei. Er spricht von einer »überragenden Leistung von Kanzlerin dun Finanzminister«, die von einer breiten Mehrheit im Bundestag »erkannt und gewürdigt« worden sei. Gabriel wird an anderer Stelle über den europapolitischen Klee gelobt. Der Name Steinmeiers taucht nicht auf - in einem Text mit der Überschrift: »Ein großer Erfolg unserer Außenpolitik«.

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