Versteck im Nervenknoten

Spätfolgen einer Gürtelrose werden oft nicht erkannt und machen besonders älteren Patienten zu schaffen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 4 Min.
Patienten, die eine Gürtelrose überstanden haben, kann das Windpockenvirus noch Jahre später arg zu schaffen machen. Manche leiden an quälenden Nervenschmerzen.

Manchmal zuckt Roland Lutz plötzlich zusammen, stöhnt leise auf und greift sich dabei an die Hüfte. »Das vergeht gleich wieder«, beruhigt der 79-Jährige dann alle, die sich Sorgen machen. »Das kommt nur von der Gürtelrose.« Obwohl er die Krankheit schon vor mehr als drei Jahren überstand, hat der Rentner regelmäßig Schmerzen oberhalb der linken Taille. »Am liebsten möchte man dann alles wegkratzen. Aber nach zwei Minuten ist alles wieder vorbei.«

Im Fachjargon heißen diese chronischen Schmerzen »Postzosterneuralgie« oder »postherpetische Neuralgie«. Das Phänomen ist keineswegs selten. Pro Jahr erkranken in Deutschland mehr als 400 000 Menschen an Gürtelrose, etwa fünf Prozent leiden danach an einer Neuralgie. Roland Lutz, der die Schmerzattacken gelassen hinnimmt, gehört zu den eher leichten Fällen. Manche Patienten haben nämlich unerträgliche Schmerzen: »Eine Postzosterneuralgie kann Menschen in die Verzweiflung treiben«, sagt Prof. Cord Sunderkötter von der Universitätshautklinik Münster.

Gürtelrose (Herpes Zoster) ist eine Spätfolge der Windpocken. Einige Erreger bleiben nämlich in den Nervenzellen und können - oft Jahrzehnte später - wieder aktiv werden, zum Beispiel dann, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Vor allem Menschen ab 50 Jahren sind betroffen, da das körpereigene Abwehrsystem im Alter nicht mehr so gut arbeitet. Häufig haben die Patienten zunächst brennende Schmerzen oder Empfindungsstörungen in einem Hautareal. Innerhalb mehrerer Tage bildet sich in diesem Bereich ein meist halbseitiger, bandartiger Ausschlag auf gerötetem Grund. Dort entstehen kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen. In seltenen Fällen kommt es aber auch vor, dass der Ausschlag fehlt und die Patienten nur Schmerzen haben.

Wenn man die Gürtelrose rasch erkennt und richtig behandelt, kommt es seltener zu schweren Verläufen und Komplikationen. »Leider nehmen viele Ärzte die Sache nicht ernst genug«, kritisiert der Hautarzt Prof. Gerd Gross, der die Leitlinie »Zoster und Zosterschmerzen« der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft mitverfasst hat. »Auch die Patienten sind oft zu wenig informiert.« Wüssten sie um die Gefahren, könnten sie rascher einen Arzttermin einfordern, sagt Gross. So aber kann es passieren, dass viel wertvolle Zeit verstreicht, bis die Infektion behandelt wird. Tragisch war zum Beispiel der Fall einer 80-jährigen Patientin, die Gross wegen eines Herpes Zoster im Gesicht behandelte: Sie war erst zwei Wochen nach Krankheitsbeginn zu ihm gekommen, weil die Gürtelrose nicht erkannt worden war. Zu diesem Zeitpunkt ließ sich nicht mehr verhindern, dass sie auf einem Auge erblindete. Ein Zoster am Kopf ist zu Recht gefürchtet: In schweren Fällen drohen bleibende Schäden, etwa Schwerhörigkeit, Taubheit oder Erblindung.

Auch die Gefahr einer postherpetischen Neuralgie sinkt Gross zufolge, werden Patienten früh mit virushemmenden Medikamenten behandelt. Insbesondere sollten Risikopatienten die Mittel intravenös erhalten. Zu dieser Gruppe zählen Zosterpatienten ab 60 Jahren, die an Schmerzen leiden, und alle, die eine Gürtelrose am Kopf haben. Mit dem Alter wächst die Gefahr dauerhafter Schmerzen. Der Schmerztherapeut James Allen Blunk sagt: »Am häufigsten von einer Postzosterneuralgie betroffen sind Frauen über 60 Jahren mit einer ausgeprägten Gürtelrose«. Warum es Frauen öfter trifft, ist unklar.

Wer Windpocken hatte, wird die Erreger nie mehr ganz los. Einige der Varizellenviren überleben und ruhen in den Nervenknoten in der Nähe des Rückenmarks. Später werden diese Viren manchmal wieder aktiv und wandern durch die Nervenfasern zurück zur Haut. »Die Reaktivierung der Viren führt zu einer Entzündungsreaktion in den Nerven. Sie äußert sich genau da, wo die Nerven verlaufen, in brennenden Schmerzen«, erklärt Blunk, der die Abteilung für Schmerztherapie am Krankenhaus Kempen leitet. Außerdem können die Entzündungen Veränderungen im Rückenmark nach sich ziehen. »Schlimmstenfalls kommt es zu einer Vernarbung der Nervenzellen«, erklärt der Experte für Schmerztherapie. Infolge der Schädigungen verändert sich auch das Nervensystem, so dass die Verarbeitung von Sinnesreizen gestört ist. Eine Überempfindlichkeit der Haut, Taubheitsgefühle oder Schmerzattacken können die Folge sein.

Chronische Schmerzen, die mit Vernarbungen an den Nervenzellen einhergehen, lassen sich schwer behandeln. »Normale Schmerzmittel helfen oft nicht«, sagt Blunk. Deshalb müssen Ärzte auf morphinartige Mittel (Opioide) zurückgreifen oder auf Arzneien zur Behandlung von Epilepsie oder Depressionen. Daneben lassen sich die Schmerzen auch örtlich betäuben, indem man die betroffenen Hautpartien mit entsprechenden Salben eincremt. Eine interessante Option sind Pflaster mit dem Wirkstoff Capsaicin, der in Chili-Schoten steckt: »Das brennt wie Feuer. Dadurch werden die Nervenendigungen zuerst überaktiv, danach schlafen sie aber ein«, erklärt Blunk. In der Folge kann sich das Nervensystem regenerieren. Zur Vorbeugung von Gürtelrose empfiehlt Blunk Menschen ab 60 Jahren, sich impfen zu lassen. Dadurch sinke das Krankheitsrisiko. Wer dennoch Gürtelrose bekommt, erkrankt nicht so schwer und entwickelt seltener eine Neuralgie. Der verfügbare Lebendimpfstoff ist allerdings nicht für Menschen mit einer Immunschwäche geeignet. Außerdem kann es sein, dass man die Impfung selber zahlen muss: Sie ist keine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen.

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