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Umziehen wird bezahlt, Waschen ist Privatvergnügen

In einem Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf bestätigt die Justiz die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes und eiert ein bisschen herum

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Was ist alles Arbeitszeit, was Privatsache? Was muss der Arbeitgeber bezahlen? Die Arbeitsgerichte beschäftigten sich häufig mit dem Thema. Die Antwort fällt rechtlich betrachtet leider nicht eindeutig aus.

Das An- und Ausziehen von Dienstkleidung kann als Arbeitszeit bewertet werden. Zu diesem Schluss kam das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf kürzlich und schlug einen Vergleich vor. Mechaniker der Stadtwerke Oberhausen hatten geklagt. Sie machten jeweils fünf Minuten vor und nach der Arbeitszeit sowie das Duschen nach der Schicht als zu vergütende Arbeitszeit geltend.

Die Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren geändert: Um den Jahrtausendwechsel wollten Beschäftigte einer privaten Müllentsorgung die Umkleidezeit vergütet haben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte im Oktober 2000: »Die vom Kläger vertraglich versprochenen Dienste sind die Tätigkeiten als ›Fahrer/Müllwerker‹. Um ihretwillen hat sich die Beklagte zur Vergütung verpflichtet. Nur diese Tätigkeiten unterfallen deshalb dem Gegenseitigkeitsverhältnis des Paragrafen 611 BGB. Zu ihnen gehören das vorherige und anschließende Umkleiden und Waschen nicht.«(AZ: 5 AZR 122/99)

Doch dabei blieb es nicht. Im Falle einer Krankenschwester erging 2012 ein BAG-Urteil, das Anlegen der Berufskleidung beziehungsweise notwendiges Umziehen während der Schicht als Arbeitszeit zu werten (5 AZR 678/11) - wenn eine bestimmte Dienstkleidung zwingend vorgeschrieben ist und nur am Arbeitsort getragen werden darf. Damit korrigierte das BAG seine Rechtsprechung.

Der Paragraf 611 BGB verpflichtet denjenigen, »welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste« und den Vertragspartner »zur Gewährung der vereinbarten Vergütung«. Anders als beim Müllwerker-Urteil kamen die Erfurter RichterInnen zu dem Schluss, dass die Weisung des Dienstherrn, eine bestimmte Berufskleidung für die Dauer der Schicht zu tragen, die nicht schon zu Hause angelegt werden dürfe, Teil dieser »versprochenen Dienste« und deshalb zu vergüten sei. Zur Arbeitszeit zählt danach auch der Weg vom Arbeitsplatz zu einer Umkleidekabine und zurück. Aber: Das Umkleiden muss unter »Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit« erfolgen. Heißt: Wer beim Umziehen bewusst trödelt, kann sich das nicht bezahlen lassen.

Gut ein Jahr später urteilte das LAG Sachsen in einem Berufungsverfahren, dass das notwendige Umziehen für Beschäftigte eines Rettungs- und Krankentransportdienstes als Arbeitszeit zu werten ist. Das Unternehmen hatte argumentiert, dass die für Umkleiden benötigte Zeit durch die entstehenden Bereitschaftszeiten abgegolten sei. Das sah das LAG Sachsen anders: »Denn maßgebend ist seine Einsatzbereitschaft, und zwar entsprechend gekleidet, während der Dauer des gesamten Schichtdienstes und insbesondere auch während der Zeiten einer Arbeitsbereitschaft«, heißt es in dem Urteil vom 10. Dezember 2014. (AZ: 2 Sa 242/14)

Die Kehrtwende des BAG wurde so bestätigt und gängige Praxis im Arbeitsrecht - so auch bei dem jüngsten Vergleich. Ob das Duschen nach Schichtende als Arbeitszeit gewertet wird bleibt damit aber zunächst offen. Ein Mechaniker sei eben kein Mitarbeiter eines Atomkraftwerkes, wurde der Vorsitzende Richter zitiert. Wann aber ist Duschen beispielsweise für den Arbeitsschutz zwingend notwendig? Nach acht Stunden in über 30 Grad heißen Redaktionsräumen hat auch beim Redakteur das Gefühl der persönlichen Frische etwas nachgelassen, aber es sind keine gesundheitsschädigenden Verschmutzungen aufgetreten.

»Vielleicht entscheidet das BAG diesen oder einen gleich gelagerten Fall. Dann könnte es auch für Waschzeiten klarstellen, ob sie als Arbeitszeit zu vergüten sind, wenn es nicht bereits tarifvertragliche oder sonstige Vereinbarungen gibt«, sagt Andrej Wroblewski vom IG-Metall-Vorstand. »Arbeitsentgelt sollte in der Regel für das Duschen nach der Arbeit gezahlt werden, wenn dies durch die Arbeit erforderlich geworden ist«, meint der Arbeitsrechtler. Nach einer Grundsatzentscheidung des BAG hätten die unteren Instanzen eine vorgegebene Richtung und könnten entsprechend im Einzelfall entscheiden.

Hinweise auf eine Änderung in der bisherigen Rechtsprechung sieht Michael Wiese von ver.di NRW in dem Vergleich nicht. »Schon heute bestehen in vielen Betrieben Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, welche Wasch- und Umkleidezeiten, zum Teil Duschzeiten, regeln«, sagt er auf nd-Anfrage. Das sei in Arbeitsbereichen mit besonderen Hygienevorschriften der Fall oder wenn »der Körper und die Arbeitskleidung so stark verschmutzt sind, dass der Heimweg nicht ohne Waschen und Umkleiden zugemutet werden kann«. Eine steigende Zahl von Arbeitszeitstreitigkeiten, vor den Gerichten könne er nicht erkennen, so Wiese. Es falle aber auf, dass sich Beschäftigte in öffentlichen Betrieben und Verwaltungen häufiger zur Wehr setzen als in privatisierten Unternehmen. »Es braucht Jahre, bis die Qualität der Arbeit der betrieblichen Interessenvertretung vor allem nach einer Ausgründung wieder den bis dahin üblichen Standard erreicht.«

Bis zum 24. August ist Zeit, gegen die gütliche Einigung vom Montag Widerspruch einzulegen. Dann wäre der Gang vor Bundesarbeitsgericht noch möglich, um eine grundsätzliche Entscheidung zum Duschen herbeizuführen.

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