Vier Buchstaben Panikmache

Jürgen Amendt über das Phänomen, das ADHS häufiger bei Jungen als bei Mädchen diagnostiziert wird.

  • Lesedauer: 2 Min.

Der Buchmarkt wurde in den vergangenen Jahren geradezu überschwemmt mit Ratgebern zum Thema Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS. Wobei die Mehrheit der Bücher zu Beginn in einem alarmistischen Tonfall davor warnte, ADHS auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn ADHS nicht frühzeitig erkannt und therapiert werde, so hieß es, seien im Erwachsenenalter schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen und Erfolglosigkeit im Beruf wahrscheinlich.

Dann wendete sich vor einiger Zeit das Blatt, das Pendel schwang wieder in die andere Richtung. Alles unbegründete Panikmache, heißt es nun in vielen »Gegenratgebern«. Kinder, die herumzappeln, die sich schlecht konzentrieren können, die den lieben langen Tag vor sich hinträumen, habe es schon immer gegeben; ADHS sei keine Krankheit, sondern vielmehr Ausdruck eines bestimmten Charakters. Viele, die die Diagnose ADHS erhielten, seinen in Wirklichkeit besonders kreative und intelligente Personen. Auf einmal hatten es Lehrkräfte nicht mehr mit unkonzentrierten und unruhigen Schülern zu tun, sondern mit verkannten Hochbegabten. Auch das ist eine Übertreibung.

Nur am Rande spielt bei den Debatten die Geschlechterverteilung bei der Diagnose ADHS eine Rolle. Jungen sind von der »Krankheit« rund viermal häufiger als Mädchen betroffen. Ein Zufall ist das nicht. Was als ADHS erkannt wird, ist oftmals ein aus fehlenden Bewegungsmöglichkeiten resultierendes Verhalten. Jungen haben aber in der Regel einen deutlich größeren Bewegungsdrang als Mädchen. Weder im privaten Umfeld noch in der Schule gibt es allerdings noch ausreichend Räume, um diesen Drang auszuleben. Viele Jungen verbringen ihre Zeit vor dem PC oder der Spielekonsole und der Sportunterricht führt ein Nischendasein. Es gibt übrigens Schulen, die das erkannt haben, die nicht nur ihren Sportunterricht ausgebaut, sondern regelmäßige Bewegung in den ganzen Schulalltag eingebaut haben. ADHS-typische Auffälligkeiten sind dort eher selten anzutreffen.

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