Leer stehende Landschaften

Tom Strohschneider über »die Ostdeutschen« in der Asyldebatte

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie oft hat man schon gehört, »der Ostdeutsche« sei bloß eine überstrapazierte mediale Erfindung - weil genau genommen ein solches historisch-geografisches Kollektiv nicht existiert? Und wie oft wurde dann doch wieder mit dem politischen Finger auf »die Ostdeutschen« gezeigt?

Auch in der aktuellen Debatte über einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen hat sich »der Ostdeutsche« breit gemacht. Von Pegida kommend brandstiftete er sich ins Bild, machte als rassistischer Pöbel vor Asylunterkünften Schlagzeilen. Dann kam man im Westen auf die Idee, die leer stehenden Landschaften im Osten könnten sich zur Unterbringung von Flüchtlingen eignen. Man würde sogar die Kosten erstatten! Nein, nein, echote es aus den »neuen« Ländern zurück, das gehe nun auch wieder nicht.

Warum eigentlich nicht? Im Osten sind bei einem viel geringeren Anteil an Nichtdeutschen unter den Bewohnern Rassismus und Fremdenfeindlichkeit belegbar stärker verbreitet - dort Flüchtlinge hinzuschicken, komme, so das meist unausgesprochen bleibende Argument, ihrer mutwilligen Gefährdung nahe. Einerseits. Andererseits wissen alle, dass auch im Westen Flüchtlingsheime angezündet werden; viele der Politiker, die mit Worten den Boden dafür mitbereiten, kommen aus den alten Ländern - ein »westdeutscher Rassismus« taucht in der öffentliche Debatten deshalb aber nicht auf.

Friedrich Schorlemmer hat jetzt davor gewarnt, durch die Unterbringung von mehr Flüchtlingen in Ostdeutschland »noch größere Probleme auszulösen. Wenn wir in die Gegenden, in denen es heute schon wenig Hoffnung für Einheimische gibt, besonders viele Ausländer schicken, dann Gnade uns Gott.« Der Theologe und Bürgerrechtler sieht »das Verletzungsgefühl vieler Ostdeutscher, sie seien nicht gleich geachtet«, noch tief sitzend. »Und nach aller sozialpsychologischen Erfahrung reagieren Menschen mit Erniedrigungserfahrungen so, dass sie sich nach unten hin abreagieren.« Schorlemmer: »Dagegen muss man etwas tun.«

So richtig dies ist, so falsch ist aber, »das Verletzungsgefühl vieler Ostdeutscher« in einer Weise vorzubringen, die als Entschuldigung für jenes Handeln verstanden werden kann, gegen das man doch eigentlich angehen will. »Dass gedemütigte Deutsche nicht einer neonationalistischen Denkungsart verfallen«, wie es Schorlemmer zu recht fordert, wird man nicht mit Rücksicht auf inakzeptable Vorurteile erreichen.

Auch Innenminister Thomas de Maizière hatte sich den Fakt, dass es im Osten mehr Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gibt, schon damit erklärt, dass »die Ostdeutschen« veränderungsmüde seien. Doch das entschuldigt nichts. Mit Blick auf die Veränderungen, welche jene zu schultern haben, die heute vor Krieg und Elend flüchten müssen, nehmen sich die paar Wiedervereinigungsnachwehen doch lächerlich aus.

Ja, es gibt Rassismus in den neuen Ländern. Aber daraus ein »ostdeutsches« Phänomen zu machen und vor diesem dann womöglich gleich zurückzuschrecken, hilft den Flüchtenden nicht. Und ebenso wenig den vielen Tausenden, die sich teils seit Jahren schon engagiert um Solidarität mit den Asylsuchenden und ihren Schutz kümmern. Diese Zivilgesellschaft in den neuen Ländern als »ostdeutsch« zu kennzeichnen - würde das jemandem einfallen?

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