Gegenwind für Facebook-Rassisten

Wiljo Heinen hält das soziale Netzwerk für einen Stammtisch-Verstärker, dem mehr »kognitive Dissonanz« guttäte

  • Wiljo Heinen
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir müssen miteinander reden«, meinte Justizminister Heiko Maas kürzlich zu Facebook. Diesem ominösen Unternehmen, das einer riesigen Werbeplattform gleicht, sich aber als soziales Netzwerk verkauft, indem es ihren vermeintlichen Nutzern mehr Kommunikation vorgaukelt, als es bietet. Reden möchte er über Gemeinschaftsstandards, und dass es nicht in Ordnung sei, die Verbreitung von Aufrufen zu Mord, Hass und Gewalt zu akzeptieren, während bereits die Verbreitung von Nacktfotos gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße. Und außerdem sei sowas ja sowieso in Deutschland verboten. US-amerikanische Gepflogenheiten vorausahnend, fügte er hinzu, dass es nicht um die Einschränkung des hohen Gutes der Meinungsfreiheit gehe, die ja im »Land of the Free« fast sofort hinter der Freiheit des Eigentums kommt. Das Zuckerberg-Imperium kreißte und gebar die Bereitschaft, dass man mal reden könnte.

Tatsächlich ist bemerkenswert, dass der Justizminister in diesem Sommer des Wutbürger-Hasses Neuland betrat, das Neuland des Stammtisch-Verstärkers Facebook. Und es ist richtig und wichtig, dass auf diese Weise der eine oder andere hört, vielleicht auch einsieht, dass der Aufruf, eine Flüchtlingsunterkunft »abzufackeln« eine Dimension der Menschenverachtung erreicht, die nicht hingenommen werden darf. Dafür gebührt dem Justizminister Anerkennung.

Vermutlich wird sich Facebook darauf einlassen, in Zukunft aufmerksamer mit deutschen Hass-Postings gegen anders aussehende, anders aufgewachsene, nicht in Deutschland geborene, nach Deutschland fliehende Menschen umzugehen. Denn das Werbenetzwerk hat ein Interesse daran, nicht in die (braune) Schmuddelecke einsortiert zu werden. Seine Einnahmen erzielt es mit Werbetreibenden, deren Beiträge den Nutzern angeboten werden. Sie wiederum brauchen die zahlungskräftige Mitte. Das Gespräch, das Maas nach Mitteilung von Facebook führen wird, könnte daher denen nutzen, die immer und immer wieder an den Gemeinschaftsstandards von Facebook gescheitert sind, wenn sie forderten, menschenverachtende Beiträge zu löschen. Das ist wichtig.

Doch der Fall »Maas gegen Facebook« zeigt auch, wie hilflos die deutsche Politik sich anstellt, die Geister, die sie rief, zu bändigen.

Nicht erst Facebook hat den dumpfdenkenden Mob entstehen lassen. Der Wut-und-Hass-Sommer von 2015 hat seine Wurzeln in einer Politik, die den Profit über die Menschen stellt und die Wut und Ohnmacht der Lohnabhängigen gegen ihresgleichen lenkt. Wenn bürgerliche Medien unisono mit Teilen der Regierung dieses Landes die Parole »wir gegen die anderen« (gegen die »faulen Griechen«, die »Wirtschaftsflüchtlinge«, die Menschen anderen Glaubens) verbreiten, dient das offensichtlichen Interessen - und erzeugt Wut.

In der Vergangenheit wurde solche Wut an Stammtischen ausgelassen. Das konnte überhört und ignoriert werden. Facebook aber ist ein Stammtisch-Verstärker: Ziel des Konzerns ist es, möglichst viel Werbung zu verkaufen. Dafür müssen die Nutzer so lange wie möglich auf den Internetseiten des Netzwerkes gehalten werden. Das gelingt dann, wenn nur das gezeigt wird, was dem Nutzer gefällt, denn bei Nichtgefallen wird weggeklickt. Das Vermeiden »kognitiver Dissonanz«, also nur zu lesen, was einem gefällt, ist eines der wichtigsten Ziele der maschinellen Verfahren, die Facebook anwendet. Die Benutzer sozialer Netze erleben eine Welt, deren Zentrum die eigene Meinung ist. Sie glauben, zu kommunizieren, tatsächlich leben sie auf einer Insel kollektiver Selbstbestätigung. Die eigene Interpretation der Welt wird immer weiter eingeengt, die Abgrenzung zwischen »wir« und »die anderen« verstärkt. Fremdenhass gedeiht gut in solchem Umfeld.

Wenn sich Facebook und Justizminister Maas einigten, dass auch der rassistische Mob nicht den Gemeinschaftsstandards genügt, würde das den deutschstolzen Hetzern ein wenig »kognitive Dissonanz« bescheren. Ich bin nicht ganz sicher, ob es helfen wird - aber es wird nicht schaden. Auf Dauer wichtiger ist es, Facebook als das zu begreifen, was es ist: ein Werbe- und Unterhaltungsnetzwerk, in dem jedem nur das gezeigt wird, was ihm gefällt. Gefährlich wird es, wenn das für Kommunikation gehalten wird.

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